Interview mit Prof. Ulrike Bingel, Sprecherin des SFB/TRR 289 und des Clinician-Scientist-Programms UMEA2

 

Warum ist der internationale Austausch so wichtig?
Aus vielen Gründen! Wissenschaft und Innovation leben vom Austausch verschiedener Denk- und Sichtweisen. Der Austausch mit internationalen WissenschaftlerInnen und Forschungsaufenthalte im Ausland sind ein Motor sowohl für die persönliche als auch die fachliche Entwicklung und Qualifizierung. Beide profitieren aus meiner Sicht gerade von der dialektischen Auseinandersetzung mit anderen, auch konträren, Sicht- und Herangehensweisen. Einblicke in eine andere Wissenschaftskultur, aber auch in unterschiedliche Führungs- und Arbeitsgewohnheiten zu bekommen habe ich persönlich als extrem wertvoll empfunden, auch wenn ich mich zumindest kulturell mit meinem Forschungsaufenthalt in Oxford nicht sehr weit entfernt habe…

Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren geändert?
Mein Eindruck ist, dass gerade die wissenschaftliche Community in Hinblick auf die globale Erwärmung sehr viel achtsamer geworden ist im Umgang mit Flugreisen. Müssen wir wirklich für jede internationale Besprechung, für jeden einzelnen Vortrag fliegen? Die Covid-19-Pandemie hat uns gelehrt, dass es auch anders geht. Aus der Not wurden enorm bereichernde Formate wie internationale Journalclubs geboren, auf die niemand mehr verzichten würde. Gleichzeitig erleben wir derzeit eine Generation von DoktorandInnen, die noch nie auf einer internationalen (oder nationalen) Konferenz ein Poster präsentiert haben. Das ist schon fatal und gerade der persönliche Austausch mit internationalen WissenschaftlerInnen als Grundlage für die eigenen sich formenden Netzwerke lässt sich aus meiner Sicht auch nicht ausschließlich mit digitalen Formaten lösen.
Ich denke, hier wird sich auch nach der Covid-19-Pandemie ein neues Normativ einpendeln, hoffentlich bereichert durch innovative Formate des digitalen Austauschs, das aus meiner Sicht als positiven Nebeneffekt auch Vorteile für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben kann.

Kann man trotz bürokratischen Aufwands Mut machen?
Unbedingt! Natürlich nervt auch mich der administrative Aufwand an verschiedensten Fronten des Klinik- und Wissenschaftsbetriebes. Hier sind die Herausforderungen zumindest zum Teil aber auch von lokalen Gegebenheiten abhängig. Und irgendjemand ist immer die/der Erste, der wie Julian über unser Clinician-Scientist-Programm UMEA und den SFB ins Ausland geht. Das ist doch etwas ganz Tolles. Und ganz ehrlich: Wir haben in Deutschland gerade im internationalen Vergleich wirklich hervorragende Bedingungen, sowohl in der Projektförderung als auch den vielen strukturierten Programmen für NachwuchswissenschaftlerInnen. Das betrifft auch die Förderung des wissenschaftlichen Austauschs und der Qualifizierung im Ausland oder in einem anderen Labor. Das sind wirklich exzellente Rahmen- und Ausgangsbedingungen, die nie besser waren als heute. Das sollte wirklich Mut machen!

Für wen sind einige Monate in einer Forschungseinrichtung oder Klinik im Ausland besonders fruchtbar?
Der internationale Austausch ist für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wichtig und kann der Schlüssel zu wissenschaftlichen Entwicklungen und gemeinsamen Projekten sein, die man im Alleingang nie bewältigen würde. Ein Beispiel dafür ist unser internationales Placebo-Imaging-Konsortium, das wir gemeinsam mit WissenschaflterInnen aus vielen Nationen gegründet haben.
Ganz besonders fruchtbar sind Auslandsaufenthalte ohne Zweifel für NachwuchswissenschaftlerInnen. Eigentlich zu jedem Zeitpunkt, aber sicher besonders in der Postdoczeit, in der sich das eigene wissenschaftliche Profil formt und schärft und man eigene Netzwerke aufbaut.