ERMUTIGEN, FÖRDERN UND KONKRET UNBÜROKRATISCH HELFEN

Im Interview berichtet die Koordinatorin für wissenschaftlichen Nachwuchs und Diversität des SFB 289, Prof. Sigrid Elsenbruch, über die unterstützenden Angebote. Die Mutter zweier Kinder (19 und 14 Jahre) ist seit 2011 Professorin und forscht als Teilprojektleiterin im SFB-Team der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen zur Schmerzmodulation bei viszeralen Schmerzen und leitet seit 2020 die Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum.

Warum ist familienfreundliches Arbeiten für die Forschung zentral wichtig?
Es ist ein gesellschaftliches Thema. In den Medizin- und Psychologie-Fachbereichen haben wir an den Universitäten eine besondere Situation: Viel mehr Frauen als Männer beginnen das Studium und schließen auch erfolgreich ab. Es promovieren auch sehr viele Frauen, aber dann werden weniger leitende Positionen und noch weniger Top-Führungspositionen mit Frauen besetzt. Die Gründe sind vielfältig, warum in dieser Lebens-und Berufsphase ein Bruch entsteht.

Was sind geeignete Maßnahmen, um eine geschlechtergerechte Förderung stärker zu verankern?
Ein Rezept oder eine Patentlösung gibt es nicht. Es sind viele Ansätze, die hier neue Strukturen ermöglichen, aber – man muss auch sagen – vieles greift zu langsam. Sehr zu begrüßen ist eine erhöhte Akzeptanz des Themas z. Bsp. bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das hilft und ist auch messbar. Hier im SFB 289 sind 37 % der Projektleitungsstellen durch Frauen besetzt, ein vergleichsweise hoher Anteil, der aber gleichzeitig auch deutlich macht: Da ist noch durchaus Luft nach oben. Das ist aber nur möglich, wenn wir Männer wie Frauen unterstützen, insbesondere die mit Familienaufgaben - organisatorisch, finanziell, logistisch. Wir brauchen ein neues Rollenverständnis für Männer wie für Frauen, damit wissenschaftliche Exzellenz und ein Familienleben sich nicht länger in der Wahrnehmung vieler gegenseitig auszuschließen scheinen. Eine erfolgreiche Gleichstellung braucht eben auch Männer, die ihre Frauen in der Familiengründungsphase und auch darüber hinaus unterstützen – und andersherum. Deshalb ist ein Programm nur gut, wenn es Forschende mit Familienaufgaben unabhängig vom Geschlecht unterstützt. Ich beobachte, dass die neue Generation der Väter viel stärker teilhaben will und die meisten eben keine Frau zuhause haben, die alles macht. Das gilt nicht nur für die Phase der Familiengründung, ebenso wenn kranke Eltern gepflegt werden müssen.

Welche Unterstützung besteht denn konkret?
Flexible Arbeitszeiten, Home-Office-Equipment, Hilfskräfte in der Forschung für Mütter und Väter. Sie werden vom SFB bezahlt und entlasten hier die MitarbeiterInnen in kritischen Phasen. Auch die Betreuung von Kindern unterstützen wir direkt. Nicht nur in der Corona-Krise, die viele auch schon vorher existierende Betreuungslücken und Herausforderungen noch einmal unglaublich verschärft und damit noch sichtbarer gemacht hat. Wenige Experimente enden punkt 16 Uhr, wenn der Kindergarten schließt. Da muss man dann auch mal bis 18 Uhr parat stehen und in solchen Fällen erstatten wir die Kosten für Kinderbetreuung. Wissenschaft auf diesem hohen Niveau geht nicht von 9 bis 16 Uhr und geht erst recht nicht, wenn Kindergärten oder Schulen geschlossen sind oder Familienmitglieder in Quarantäne oder krank sind. Ohne viel Bürokratie bieten wir diese Möglichkeiten an und ich erhalte immer wieder die Rückmeldung, dass genau diese etablierten konkreten Hilfen den Unterschied machen. Da müssen wir dauerhaft gut bleiben und noch besser werden, auch über den SFB und seine Fördermaßnahmen hinaus.

Nicht alles ist eine Frage der Organisation und Unterstützung, man muss sich eine Führungsposition auch zutrauen. Wie können Sie diesen Punkt angehen?
Wir müssen Leistungen von Frauen sichtbarer machen. Das bewirkt ein Empowerment. Natürlich sind Vorbilder – role models – für diese „Ermutigung“ ganz entscheidend. Frauen identifizieren sich mit Frauen, die diesen Schritt gehen wollen und können. Das ist hier beim SFB natürlich Professorin Ulrike Bingel als Sprecherin und Mutter eines 10-jährigen Kindes, aber ebenso jede unserer sieben Projektleiterinnen. Entscheidend sind aber auch eine gute Vernetzung und ein bedürfnisabhängiges individuelles Coaching.

Im SFB289 gibt es neben NaturwissenschaftlerInnen auch forschende ÄrztInnen und Ärzte – die Clinician Scientists. Klinisch zu arbeiten, ebenso wissenschaftlich und zuhause eine Familie zu haben – das ist eine außergewöhnliche Dreifachbelastung. Wie kann man hier Prioritäten setzen?
Damit sich Ärztinnen und Ärzte auch wissenschaftlich gut weiterentwickeln können, bestehen Clinician-Scientist-Programme. In 2021 verzeichneten das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie das Universitätsklinikum Essen riesige Erfolge mit der Bewilligung der Advanced Clinician Scientists Programme durch das BMBF. An allen drei Standorten des SFB 289 laufen darüber hinaus zahlreiche unterstützende Programme, die flankiert werden von anderen Maßnahmen zur Nachwuchsförderung und zum Diversity-Management. Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf der Universität Hamburg steht im nationalen Vergleich an zweitbester Stelle, die Philipps-Universität Marburg erhielt das Siegel „Familienfreundliche Hochschule Hessen“, am Universitätsklinikum Essen wurden in den letzten Jahren verschiedene Programme zur Förderung von ÄrztInnen in der Forschung sowie Mentoring- und Unterstützungsprogramme für Wissenschaftlerinnen in der Koordination von Familie und Beruf etabliert. Klar ist aber auch, der Weg ist noch weit und wir müssen immer wieder neue kreative Ideen aufnehmen, gleichzeitig bessere Strukturen und das Thema überall bei EntscheiderInnen auch in der Politik platzieren.