Placeboeffekte gibt es nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Schule, an der Universität und überall dort, wo wir lernen. Wie der Placeboeffekt außerhalb der Medizin funktioniert – und wie wir ihn für bessere Lernleistungen einsetzen können.

Placeboeffekt beim Lernen

Lernende können ein für sie persönlich passende Placeboeffekte fürs Lernen nutzen – und Noceboeffekte vermeiden.

„Alles Mögliche kann als Placebo dienen, wenn es mit etwas Schönem, mit positiven Erfahrungen und Erwartungen verbunden wird.“

Prof. Sven Benson, Professor für Medizindidaktik, Universität Duisburg-Essen

Placebos: Wirkung ohne Wirkstoff

Placeboeffekte sind vor allem aus der Medizin bekannt. Doch auch in der Schule, in der Aus- und Weiterbildung oder wenn Sie z.B. eine Fremdsprache lernen, tritt das Phänomen auf. Hier wollen wir erklären, wie der Placeboeffekt funktioniert und wie Sie ihn für gute Leistungen einsetzen könnten.

Mit dem Begriff Placeboeffekt können Sie vielleicht erst einmal nichts anfangen, aber Sie haben ihn wahrscheinlich alle schon erlebt: Als Sie ein kleines Kind waren und ziemlich oft hingefallen sind, konnten Ihre Eltern den Schmerz einfach wegpusten und mit tröstenden Worten die Tränen trocknen – dann war der Schmerz so gut wie weg. Das Pusten und der Trost waren das Placebo, das ähnlich wie eine echte Schmerztablette wirkt. Das Wort „placebo“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Ich werde gefallen“.

Wie kann es aber sein, dass etwas wirkt, obwohl gar kein Medikament eingenommen wurde? Das beschäftigt Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen seit Langem. In medizinischen Studien konnten sie nachweisen, dass auch Mittel ohne Wirkstoff oder sogenannte Scheinbehandlungen die Beschwerden von Kranken lindern können. Viel hängt dabei von der Erwartung des Patienten oder der Patientin an eine Behandlung ab.

Gutes Beispiel: ein Schmerzmittel

Nehmen wir eine Tablette, auf der „Aspirin“ steht, erwarten wir eine Linderung meiner Kopfschmerzen. Tatsächlich lässt das Pochen meist rasch nach – bei vielen Menschen so schnell, dass der Wirkstoff noch gar nicht in der Blutbahn angekommen sein kann. Typisch Placeboeffekt: Die Tablette wirkt, weil wir es erwarten – sogar ganz ohne Wirkstoff.

Das geht übrigens auch für das Gegenteil: Wird eine Behandlung (z.B. ein Besuch beim gefürchteten Zahnarzt) mit negativen Erwartungen verbunden und führt in der Folge z.B. zu unerwünschten Nebenwirkungen, spricht man vom Noceboeffekt. Lateinisch: „Ich werden schaden“. Die Erwartung der schmerzhaften Behandlung eines Patienten während des Zahnarztbesuchs kann somit zu stärkeren Schmerzen während des Eingriffs führen, als wenn diese Person keine Schmerzen erwarten würde.

Noch gibt es sehr viele offene Fragen zum Placeboeffekt, zum Beispiel, warum er nicht bei allen Menschen gleichermaßen funktioniert. Man weiß aber bereits, dass dieser nicht ausschließlich in der Medizin auftritt. Und hier kommt nun der schulische Erfolg ins Spiel.

Auch der Erfolg beim Lernen hat etwas mit dem Placeboeffekt zu tun!

Ganz konkret lässt sich der Placeboeffekt nutzen, wenn Stress, Anspannung, Sorgen, schlechte Stimmung und Müdigkeit die Zeit vor wichtigen Prüfungen oder Referaten prägen. Ein Experiment mit Studierenden hat gezeigt, dass diejenige Gruppe, die zuvor drei Wochen lang zweimal täglich eine substanzfreie Kapsel – eine Zuckerpille – geschluckt hatte, mit deutlich weniger Anspannung in eine Prüfung ging als die Gruppe, die nichts eingenommen hatte. Dabei wussten die Teilnehmenden am Experiment sogar, dass in den Kapseln keinerlei Wirkstoff war! Sie wussten, dass sie nur etwas Zucker zu sich nahmen. Es waren einfach das tägliche Ritual und die positive Erwartungshaltung, die in der Prüfungsvorbereitung den Stress dämpften, die Stimmung hoben und das Lernen leichter machten.

Daher klappt der Placeboeffekt für entspanntes Lernen auch ohne die Kapseln wie im Experiment, allein, wenn man z.B. optimistisch an eine Prüfung herangeht oder wenn er mit anderen positiven Wirkungen kombiniert wird. Wer von Ihnen die Erfahrung gemacht hat, dass Sport beim Stressabbau hilft, kann regelmäßiges Training in die Vorbereitung für eine Präsentation, ein Referat oder eine Prüfung einbauen. Auch eine Stunde Musik machen oder hören kann sinnvoll sein. Dabei ist klar: Sport oder Musik haben eine positive körperliche Wirkung auf unsere Denkfähigkeit und das Lernen, aber diese Rituale können zusätzlich sozusagen wie ein „mentaler Anker“ als Placeboeffekt wirken. Trinken Sie z.B. immer Ihren Lieblingstee aus einer besonderen Tasse, wenn Sie üben oder lernen, verbindet Ihr Gehirn diese positiv besetzten Rituale mit der positiven Erwartung, entspannt und gut zu lernen.

Man kann solche Rituale ganz bewusst als Placebo einsetzen, wenn positive Erfahrungen damit verbunden sind, also wie eine Art Vehikel. Das Tolle an Placebos ist nämlich, dass sie so flexibel sind: Alles Mögliche kann ein Placebo werden, wenn es mit etwas Schönem verbunden wird. Im Gehirn werden dann diejenigen Botenstoffe (sogenannte Neurotransmitter) ausgeschüttet, die auch Schmerzen dämpfen und im Belohnungszentrum aktiv sind, wenn wir etwas Schönes erleben. Also versuchen Sie es doch mal selbst oder empfehlen es Ihren Kindern!

Erwartungen, Einstellungen und die Zuwendung von Lehrern und Lehrerinnen haben großen Einfluss

Auch in der Schule und anderen pädagogischen Bereichen wirkt das Prinzip des Placebo- und Noceboeffekts. Ähnlich der Beziehung zwischen Ärztin und Patient besteht auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkraft und Lernendem. Neben der Vermittlung von Wissen haben Erwartungen, Einstellungen und die Zuwendung von Lehrern und Lehrerinnen großen Einfluss darauf, ob überhaupt und wie gut Schüler und Schülerinnen arbeiten. Wer oft gelobt wird, hat Freude am Lernen, strengt sich eher an und bringt tatsächlich gute Leistungen in der Zukunft. Wer viel kritisiert wird, traut sich immer weniger zu, verliert die Lust, sich anzustrengen, und wird in der Folge schlechter in der Schule.

Nikol Rummel, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum, erforscht, was Lernprozesse fördert oder behindert: „Wir wissen aus einer Vielzahl von Studien im Forschungsfeld der pädagogischen Psychologie, dass Erwartungen und Motivation der Lehrenden einen großen Einfluss auf das Lernen und den Lernerfolg von Schülern und Schülerinnen haben können.“

Allerdings haben Sie sicher selbst auch Erwartungen, was Sie leisten können und wollen, und nehmen damit Einfluss auf den Placeboeffekt beim Lernen. Die Wissenschaft spricht von „Selbstwirksamkeit“. Bei der Überzeugung „Ich kann das“ kommt es auch auf den Glauben an die eigene Fähigkeit an. Auch das kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Wer von sich überzeugt ist, stellt sich herausfordernden Aufgaben und kann Ziele ausdauernd verfolgen, selbst wenn es wiederholt Rückschläge und Krisen gibt. Ein sehr willkommener Placeboeffekt!

Unsere Bitte

Erzählen Sie uns Ihre persönliche Geschichte mit dem Placebo- und Noceboeffekt! Medizin lebt auch von Erzählungen. Deshalb sammeln wir für den Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ die vielfältigen Erfahrungen von Patientinnen und Patienten mit ihren eigenen Erwartungen. Näheres erfahren Sie hier.

*Nach Rücksprache mit Patientinnen, Patienten und Vertretern von Patientenorganisationen haben wir uns entschieden, für die Texte, die sich direkt an Patienten wenden, in der Ansprache die weibliche und männliche Form oder ein großes Binnen-I anzuwenden. Ist dies nicht sinnhaft, haben wir zugunsten der besseren Verständlichkeit und des Leseflusses auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.