Wie lange hält die positive Wirkung einer dreiwöchigen Behandlung mit offen deklarierten Placebos (OLP) bei chronischen Rückenschmerzen an?
Diese Forschungsfrage stellte das Team um Dr. Julian Kleine Borgmann und Prof. Ulrike Bingel vom Zentrum für Translationale Neuro- und Verhaltenswissenschaften am Universitätsklinikum Essen und starteten eine dreijährige Follow-up-Studie. Das Ergebnis wurde nun in der Fachzeitschrift PAIN als Research-Paper veröffentlicht und ist hier nachzulesen. Nach drei Jahren war der Effekt in Bezug auf die Schmerzintensität, die Bewegungseinschränkungen und die Stimmung nicht mehr nachweisbar.
Chronische Schmerzen im unteren Rücken betreffen nach Schätzungen mehr als 10% der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens. Wenn so viele Menschen länger als drei Monate unter Rückenschmerzen leiden, hat das große soziale und ökonomische Auswirkungen. 2019 konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Ulrike Bingel am Universitätsklinikum Essen zeigen, dass PatientInnen profitieren, wenn sie neben der üblichen Schmerztherapie auch ein Placebo erhalten (hier nachzulesen). Das Besondere war: Alle 122 Teilnehmenden der Studie an der Essener Uniklinik wussten über die Natur der wirkstofffreien Kapsel Bescheid und nahmen bewusst über drei Wochen zwei Placebos täglich ein. Diese Open-Label-Placebo-Studie bestätigte die Hypothese, dass OLPs zusätzlich zu der üblichen Behandlung dessen therapeutischen Effekt verbessern können. Sowohl die Schmerzintensität als auch die funktionelle Beeinträchtigung waren in der OLP-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe gesunken und die Stimmung am Ende der Studie verbessert. Die Verlaufsstudie sollte nun prüfen, ob der Effekt auch nach drei Jahren noch nachweisbar ist. Nachdem 89 Teilnehmende aus der ersten Studie befragt wurden, konnten die WissenschafterInnen keinen Unterschied mehr zwischen den Behandlungsgruppen finden.
Zuvor hatte eine Studie von WissenschaftlerInnen der Universität Lissabon und der Harvard Medical School, die PatientInnen fünf Jahre nach einer OLP-Behandlung befragten, auf mögliche Langzeiteffekte von OLPs bei Rückenschmerz hingedeutet.
„Unsere Studie kann diese Ergebnisse nicht bestätigen“, sagt Dr. Julian Kleine Borgmann. „Dies mag daran liegen, dass unsere Studie ein anderes Design nutzt, das einen besseren Vergleich der mit OLP behandelten Gruppe mit einer Kontrollgruppe ermöglicht. Mich überrascht das Ergebnis nicht. Vielmehr ist es für mich absolut nachvollziehbar, dass eine dreiwöchige Therapie nach drei Jahren keine relevante Wirkung mehr hat. Das schmälert den therapeutischen Benefit während der Anwendung von OLPs ja nicht. Jetzt müssen wir herausfinden, wie wir diese Effekte auch längerfristig für PatientInnen nutzbar machen können.“
Dieser Fragestellung widmen sich zahlreiche WissenschaftlerInnen um Prof. Ulrike Bingel im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 289 Treatment Expectation der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG): „Wir brauchen ein besseres Verständnis über den Mechanismus des OLP-Effekts, bevor wir an Langzeiteffekten arbeiten können“, erklärt Ulrike Bingel, Professorin für Klinische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Essen und Sprecherin des Sonderforschungsbereichs. In diesem Konsortium untersucht ein interdisziplinäres Forschungsteam in 16 Teilprojekten, wie Erwartungen den Behandlungserfolg beeinflussen und wie sich dieser Effekt bei verschiedenen Erkrankungen therapeutisch nutzen lässt.