Hilft mir das auch?

Positive Behandlungserwartungen entstehen bei RückenschmerzpatientInnen, allein wenn sie beobachten, wie ein anderer Patient von einer Therapie profitiert. Dann stellte sich auch bei ihnen Besserung ein. Forscher der Universität Hamburg-Eppendorf haben jetzt den Placeboeffekt durch Beobachtungslernen nachgewiesen.

Chronische Rückenschmerzen sind der zweithäufigste Grund für Arbeitsausfall. Millionen Menschen leiden darunter, und die Therapie ist häufig langwierig und komplex. Meist finden TherapeutInnen nicht die eine alles erklärende Ursache, die sich mit einem Schmerzmedikament effektiv und schnell behandeln ließe. Deshalb suchen WissenschaftlerInnen intensiv nach neuen Möglichkeiten, das Schmerzempfinden und die Wirksamkeit von Medikamenten günstig zu beeinflussen, zum Beispiel durch den Aufbau positiver eigener Behandlungserwartungen. Wie aber lässt sich die Erwartung der PatientInnen gezielt steuern?

Vier Wissenschafterinnen der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie am UKE Hamburg, Bereich Schmerzmedizin und Schmerzpsychologie, starteten 2019 ein Experiment: RückenschmerzpatientInnen, die seit Monaten das schmerzreduzierende Medikament Amitriptylin ohne durchschlagenden Erfolg einnahmen, wurden in die Ambulanz-Sprechstunde eingeladen, um an einer Studie teilzunehmen. Sie sollten einen Fragebogen ausfüllen und wurden dann ins Behandlungszimmer gebeten. Dort informierte der behandelnde Arzt sie noch einmal über die Wirkungen des Medikaments. Unter dem Vorwand, einen Rezeptblock zu holen, verließ er kurzzeitig das Zimmer. Genau in diesem Moment kam nun plötzlich ein vermeintlicher Patient herein und wollte seinen Fragebogen abgeben. Dabei erzählte er den RückenschmerzpatientInnen, dass er auch an der Studie teilgenommen und wie gut ihm die Therapie mit Amitriptylin geholfen habe. Er beugte sich schmerzfrei herunter und berührte sogar mit den Händen den Boden, um eindrucksvoll zu demonstrieren, wie beweglich er wieder geworden sei. Fünf Minuten etwa dauerte diese Konversation zwischen einem instruierten Testpatienten und dem Erkrankten. Dann kam der Arzt wieder herein, und die Besprechung nahm ihren gewöhnlichen Lauf. „Soziales Beobachtungslernen“ nennt Dr. Regine Klinger, die Studienleiterin, dieses Phänomen. „Ganz offensichtlich bildet sich beim Patienten eine eigene positive Erwartungshaltung bezüglich der Therapie, denn in der Tat ging es den PatientInnen 14 Tage nach Beobachten dieses gut inszenierten Schauspiels eines vermeintlich Genesenen deutlich besser als denen einer Kontrollgruppe.“ Bei den PatientInnen der Kontrollgruppe erschien auch ein Testpatient, der aber nur neutral berichtete, dass er ebenfalls an der Studie teilnehme und den Fragenbogen abgeben wolle. Keine Übungen, keine Demonstration der guten neuen Beweglichkeit. In beiden Gruppen empfanden die PatientInnen nach dem Experiment ihre Schmerzen weniger stark, aber nur in der Gruppe, die die neue Beweglichkeit anschaulich beobachten konnte, stellten sich auch Verbesserungen bei Alltagsbewegungen ein: Die PatientInnen konnten besser laufen, eine Kiste hochheben, die Einkaufstasche tragen. „Die Funktionskapazität der Beweglichkeit nahm signifikant zu“, erklären die Psychologinnen Regine Klinger, Marie Schwartz und Laura-Marie Fischer sowie die Studienkoordinatorin Julia Stuhlreyer. Für sie ist dies ein sehr wichtiges Ergebnis, bedeutet es doch, dass ein therapeutischer Effekt allein durch Beobachten zu erzielen ist. Sollte also bei Gruppentherapiesitzungen immer ein Patient dabei sein, dem es deutlich besser geht und der einen positiven Spirit verbreitet? Funktioniert der Effekt auch, wenn den PatientInnen nur das positive Beispiel im Film gezeigt wird? Wie sehr müssen sich die PatientInnen mit dem vermeintlich genesenen Testpatienten identifizieren, damit der Placeboeffekt wirkungsvoll greift? Für das Forscherteam der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf müssen noch viele Fragen beantwortet werden, ehe der Effekt der positiven Behandlungserwartung systematisch in der Therapie eingesetzt werden kann.

Interessierte PatientInnen mit Rückenschmerzen können an der aktuellen groß angelegten Studie teilnehmen. (https://www.uke-rueckenschmerz-sfb289.de)

PD Dr. Regine Klinger
Psychologische Leiterin
des Bereichs Schmerzmedizin und Schmerzpsychologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie
Neues Klinikum O10, Raum 02.5.045.1
Martinistraße 52
20246 Hamburg

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