Starker Noceboeffekt nach Corona-Impfung

Für rund dreiviertel aller berichteten Nebenwirkung nach der ersten Impfung gegen Covid-19 dürfte der sogenannte Noceboeffekt verantwortlich sein. Das ist das Ergebnis einer aktuellen internationalen Meta-Studie (Haas et al., 2022). Die Ergebnisse könnten Einfluss nehmen auf die Vorbehalte gegen die Impfung, die bei einem Teil der Bevölkerung herrschen – und sie reduzieren.

„Dies ist der Beleg, dass die Erwartung der frisch Geimpften, Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Müdigkeit zu spüren, zu einem starken Auftreten eben dieser Nebenwirkungen führt“, erklärt Ulrike Bingel, Professorin für Klinische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Essen und Sprecherin des Sonderforschungsbereichs 289 Treatment Expectation. Dieser Noceboeffekt (Lat.: „Ich werde schaden“) ist kein neues Phänomen, sondern vielfach in unterschiedlichen medizinischen Studien nachgewiesen: Das Wissen um mögliche Beschwerden, die auftreten können, führt dazu, dass wir genau diese Symptome auch bei uns wahrnehmen. „Dieser Effekt ist im Zusammenhang mit Corona-Impfungen besonders unglücklich, weil er Ängste und Bedenken gegenüber der Impfung fördert“, warnt auch Rief, Prof. für klinische Psychologie der Universität Marburg, der an der Studie beteiligt war und schon lange die Ursachen des Noceboeffekts erforscht. Seine Hoffnung: „Wenn wir diese Noceboreaktionen nachweisen und erklären, hoffen wir die Sorgen vieler rund um die Impfung zu zerstreuen, weil Angst vor Nebenwirkungen häufig als Grund angegeben wird, die Impfung zu vermeiden.“

Die aktuelle Studie um die Psychologin Julia Haas, die nach der Promotion in Marburg zum Beth Israel Deaconess Medical Center der Harvard Medical School in Boston wechselte, analysierte zwölf große Corona-Impfstudien aus verschiedenen Ländern, wie den USA, Australien, China, Brasilien, Südafrika, Großbritannien und Belgien. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse der Metaanalyse im renommierten „JAMA Network Open“. 22578 Studienteilnehmer erhielten eine Placebo-Impfung ohne eine wirksame Substanz, 22802 wurden mit unterschiedlichen Impfstoffen geimpft. Der Vergleich der Häufigkeiten von berichteten Nebenwirkungen kam zu einem verblüffenden Ergebnis:
Nach der ersten Impfung berichteten 35,2 % der Placebo-TeilnehmerInnen vor allem über Kopfschmerzen und Müdigkeit, in der Impf-Gruppe waren es 46,3 %. Daraus ergibt sich, dass statistisch auch in der Impf-Gruppe 76 % der Nebenwirkungen auf dem Placeboeffekt beruhen. Nach der zweiten Impfung reduziert sich der Effekt. Nur noch etwa die Hälfte der berichteten Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit sind assoziiert mit dem negativen Erwartungseffekt. Die Erklärung der ForscherInnen: Nach der zweiten Impfung erwarten Geimpfte vermehrt Nebenwirkungen und spüren sie auch, weil die Immunreaktion heftiger verläuft. Professor Winfried Rief fordert deshalb eine spezifischere Aufklärung der Bevölkerung über den Noceboeffekt, um die Ängste abzubauen.

Referenz:
Haas, J. W., Bender, F. L., Ballou, S., Kelley, J. M., Wilhelm, M., Miller, F. G., . . . Kaptchuk, T. J. (2022). Frequency of Adverse Events in the Placebo Arms of COVID-19 Vaccine Trials: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Netw Open, 5(1), e2143955. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.43955

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