Kommunikation ist entscheidend für die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Behandlungen, weiß Prof. Sven Benson – Krankenpfleger, Kommunikationsexperte und Professor für medizinische Psychologie. Im Interview erklärt er, wie Ärzte und Ärztinnen, das gesamte medizinische Personal, aber ebenso auch Patientinnen und Patienten zu einer guten Kommunikation und damit zum Therapieerfolg beitragen können.
Interview mit Prof. Sven Benson
Frage: Was lernen Ärztinnen und Ärzte bei Ihnen?
Prof. Benson: In der künftigen neuen Approbationsordnung ist festgelegt, dass in der medizinischen Ausbildung die Bedeutung der Kommunikation im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung nachhaltig vermittelt und geübt wird. Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil von Behandlungen. Wie wichtig Kommunikation für die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Behandlungen ist, ist immer wieder gezeigt worden und auch den meisten Beteiligten bewusst. Dennoch ist es wichtig, immer wieder zu bekräftigen, wie groß der Effekt von Kommunikation ist, etwa wenn es um Erwartungen an Therapien geht.
Wie lernt man so etwas im Studium?
Wenn es um Studierende geht, sind es zum einen grundlegende Informationen über Kommunikation und vor allem Übungen, zum Beispiel zu Fragetechniken. Ein besonders zentrales Thema ist die eigene Haltung im Gespräch. Die angehenden MedizinerInnen werden sensibilisiert und eigene Erfahrungen angestoßen. Dazu laden wir auch PatientInnen ein. In Rollenspielen und videogestützten praktischen Übungen mit SimulationspatientInnen von der Folkwangschule – einer Schauspielschule – lernt man, mit aufgeregten oder verärgerten PatientInnen Kommunikationsbarrieren zu überwinden. Die Studierenden lernen in Gesprächen, mit Ängsten oder Sprachbarrieren wie bei einer Demenz umzugehen. Ich habe oft festgestellt, dass bei Studierenden Vorerfahrungen, z.B. durch Arbeit im Rettungsdienst, hilfreich ist. Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, eine schwerwiegende Diagnose mitzuteilen. Wie bekomme ich als Arzt und Ärztin die wichtigen Informationen rüber und kann zugleich die Patienten emotional unterstützen? Hierzu bieten wir den Studierenden einen geschützten Raum zum Üben. Wir beginnen dabei mit eher alltäglichen Situationen. Das Überbringen schlechter Nachrichten bedeutet ja nicht gleich die Mitteilung einer Krebsdiagnose, sondern vielleicht auch, dass ein Patient noch einen Tag länger im Krankenhaus bleiben oder man ihm nochmals Blut abnehmen muss. Anhand solch alltäglicher Situationen lässt sich gut erarbeiten, empathisch auf die Perspektive und die Bedürfnisse von PatientInnen einzugehen. Aber: Das Üben hört nie auf. Auch in der Facharztausbildung ist Selbstreflektion und das Beibehalten einer Patientenperspektive wichtig.
"Ein 'Guten Morgen, ich bin sofort bei Ihnen' kann schon eine positive Grundstimmung erzeugen"
Ein Beispiel: Welcher Satz zur Begrüßung einer neuen Patientin oder eines Patienten ist gut oder schlecht?
Der erste Eindruck entsteht sehr schnell, es sind nur wenige Sekunden, und dabei ist nicht unbedingt der Satz entscheidend, sondern die gesamte Ansprache, die Mimik, die Gestik, das Ambiente. Den perfekten Satz gibt es nicht. Es beginnt, wenn ich als Patient eine Praxis oder Klinik betrete, mit der Frage: Wie werde ich vom Klinik- oder Pflegepersonal begrüßt? Ein „Guten Morgen, ich bin sofort bei Ihnen“, kann bereits eine positive Grundstimmung erzeugen. PatientInnen kommen mit ganz unterschiedlichen Befindlichkeiten, Ansprüchen und Erwartungen.
Inwieweit sollen oder müssen Behandelnde darauf eingehen?
Die ersten Informationen spielen eine große Rolle: Wie wird mir der Weg zur Ambulanz erklärt? Was passiert als nächstes mit mir? Bekomme ich ein Faltblatt, oder begleitet mich jemand zur Untersuchung? Man muss nur mal überlegen, was man in einem guten Hotel erwartet: Hatten Sie eine gute Anreise? Kann ich Ihnen mit dem Gepäck helfen? Benötigen Sie eine zweite Decke? Das klingt vielleicht erst einmal banal, signalisiert aber, dass ich mich als Patient willkommen und im besten Wortsinn umsorgt und gut aufgehoben fühle.
Haben Sie einen guten Ratschlag für angehende Ärzte und Ärztinnen?
Ich weiß, dass das Zeit kostet, aber wenn man etwa eine neue Patientin persönlich im Wartezimmer abholt und ins Behandlungszimmer begleitet, sieht man gleich, wie sie aufsteht, sich bewegt, und gleichzeitig spürt diejenige, dass man sich kümmert. Weiterhin sollte man bei der Gesprächsführung niemals in einen PC schauen, obwohl dort wahrscheinlich wichtige Informationen über die Patientin stehen...
Wie bekomme ich denn heraus, was für die Patentin die richtige Wortwahl und auch das beste Maß an Details ist?
Wenn Patientinnen oder Patienten viel reden, unterbrechen Ärzte häufig sehr schnell. Das ist nicht gut, aber sicher dem Zeitmangel geschuldet. Dennoch sind Aufmerksamkeit und offene Fragen hilfreich, denn manche Menschen erzählen vieles, was vielleicht nicht ganz bedeutsam ist, haben aber ein ganz anderes Problem. Da ist quasi eine kommunikative Aufwärmphase wichtig. Studierende lernen, einem Patienten gegenüber zu wiederholen, was sie verstanden haben. Manchmal folgt daraufhin von dem Betroffenen: „Frau Doktor, Ich wollte noch sagen, dass mir auch ...“ Das ist sehr nützlich für die Diagnose. Jeder Patient hat eine persönliche Annahme, was er subjektiv hat, also eine ganz eigene Krankheitstheorie. Man sollte deshalb auch fragen: „Was ist Ihre Sichtweise, was ist Ihre Erwartung?“.
Unser ärztliches Selbstverständnis ändert sich
Wie sieht es denn bei Erklärungen zu therapeutischen Möglichkeiten aus?
Grundsätzlich: Ein Arzt oder eine Ärztin sollte es nicht persönlich nehmen und „beleidigt“ sein, wenn jemand etwas ablehnt. Ein Beispiel ist ein Tumorerkrankter, der die Chemotherapie abbrechen möchte. Wie reagiere ich als Behandler? Ich kann nicht sagen: „Ok, dann kann ich Ihnen nicht helfen.“ Häufig ist der Grund die Angst vor starken Nebenwirkungen, also muss ich gemeinsam mit dem Erkrankten eine gute Lösung finden. „Gemeinsam“ ist das entscheidende Wort. Wir sehen, dass sich hier das ärztliche Selbstverständnis ändert. Wie auch das Selbstverständnis der Patienten. Der Patient hat ein zu respektierendes Selbstbestimmungsrecht.
Prof. Benson, ein nicht zu kleiner Prozentsatz nimmt die Medikamente gar nicht, die verschrieben wurden. Was kann man dagegen tun?
Es geht los mit der Kommunikation bei der Verschreibung. „Ich verschreibe Ihnen mal was ...“ ist nicht ausreichend als Erklärung. Man muss Folgen, aber auch Nutzen und Wirkmechanismen erklären, weil Patienten Symptome ihrer Erkrankung manchmal gar nicht bewusst wahrnehmen. Bluthochdruck ist ein gutes Beispiel, denn der Patient oder die Patientin realisiert keinen Unterschied, ob er oder sie das Medikament einnimmt oder nicht – zunächst. Hier muss man deutlich den langfristigen Nutzen einer Therapie erklären. Aber da sind auch die ApothekerInnen gefragt. Sie haben eine wichtige Funktion – und einen großen Einfluss bei Placebo- und Noceboeffekten. Das alles gibt es bei einer Internetapotheke nicht. Aber auch FachassistentInnen haben bei chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Diabetes in Beratungen und Gesprächen einen wichtigen und langfristigen Kontakt. Gute Info-Materialien können helfen, wenn jemand zu Hause in Ruhe etwas nachlesen möchte. Wir als BehandlerInnen sollten die Suche nach kompetenten Informationen nicht der Eigenrecherche der PatientInnen im Internet überlassen.
Kooperation und Mitarbeit: Damit ein Patient mitmacht bei einem manchmal ja auch langwierigen therapeutischen Unterfangen, braucht es Vertrauen. Wie baut man das gut auf?
ÄrztInnen sollten Problemthemen ansprechen, zuhören können und eben z.B., wenn ein Medikament vergessen wurde, Lösungen anbieten, Verständnis für Unzulänglichkeiten haben. Das Schlimmste ist, wenn jemand Angst hat, seinem Arzt die Wahrheit zu sagen, eben dass er das Mittel gar nicht einnimmt, weil er Angst vor Nebenwirkungen hat. Ein Gesprächsangebot, in welcher Lage auch immer, ist deshalb extrem wichtig. Vorwürfe hingegen sind absolut kontraproduktiv. Studien zeigen, dass z.B. bei onkologischen PatientInnen digitale Angebote wie Apps eine sinnvolle Ergänzung sein können, um regelmäßig das Befinden zu erfassen, oder als installierte Erinnerungsfunktion, eine Art Reminder. Da gibt es viele gute neue Unterstützungen in der Kommunikation, die sicher in Zukunft auch bei anderen Erkrankungen immer häufiger genutzt werden.
Wir haben beeindruckende Daten zu Placebo- und Noceboeffekten
Kommen wir zum Erwartungseffekt: Wie viel Prozent machen Placebo- und Noceboeffekte in der Therapie denn aus?
Wir haben beeindruckende Daten, die den Effekt dokumentieren. Es handelt sich nicht nur um ein bisschen, sozusagen das letzte eine Prozent, das zum Beispiel ein Schmerzmittel effektiver wirkt, sondern es ist ein ganz substanzieller Aspekt. Erwartungseffekte vermögen die Wirkung etwa von Schmerzmedikamenten zu verdoppeln oder massiv zu reduzieren. Das gilt auch für Nebenwirkungen von Medikamenten.
Können PatientInnen etwas falsch machen? Haben Sie Beispiele, die TherapeutInnen Ihnen berichten?
Ich darf als Patient gar nicht denken, dass ich etwas falsch mache. Für die meisten ist ein Arztbesuch eine Ausnahmesituation: Man ist aufgeregt, nicht so konzentriert wie üblich, alle möglichen Gedanken und Befürchtungen schwirren einem im Kopf herum. Was kann ich als PatientIn also tun, damit ein Gespräch zufriedenstellend verläuft? Überlegen Sie vorab, was Ihnen wichtig ist, was Sie unbedingt sagen wollen, machen Sie Notizen, nehmen Sie jemand Vertrauten mit. Natürlich müssen Sie an den Zeitfaktor denken. Deshalb ist die Vorbereitung gut. In der Aufregung vergisst man Wichtiges und ärgert sich hinterher, dass man dies oder jenes genau nicht gefragt hat.
Wenn man spürt, dass die Chemie zwischen Behandler und mir einfach nicht passt, was mache ich dann?
Naja, bei mehrmonatiger Psychotherapie sind Probesitzungen üblich, um dies zu testen. Wenn man sich das Bein gebrochen hat, wird man sich arrangieren. Entscheidend ist die Beziehung zum Hausarzt, und bei allen chronischen Erkrankungen macht es Sinn als PatientIn, die wirklich passende vertrauensvolle Betreuung zu finden. Und man sollte auch wechseln, wenn es nicht passt.
Wie geht man als Arzt mit sehr ängstlichen PatientInnen um?
Das Maß der Information ist ganz wichtig. Manche möchten gar nicht detailliert aufgeklärt werden, sie blocken das ab, dann sollte man möglichst nur das Wichtigste erklären. Oft können Nachfragen und Informationen aber auch helfen, mit Ängsten umzugehen. Nehmen wir die Darmspiegelung. Da bestehen häufig bei PatientInnen Hemmschwellen. Hier kann es helfen zu erfragen, welche Ängste denn konkret bestehen. Manche machen sich vielleicht Gedanken, dass das vorbereitende Abführen unangenehm und nicht zu bewältigen ist oder dass sie sich bei der Untersuchung entblößen müssen. Solche Sorgen lassen sich aber oft gut ausräumen und besprechen. Auch hier ist Informationsmaterial, auch Videos, gut. Ganz ehrlich: Ein Arztbesuch ist für viele PatientInnen aus vielen Gründen aufregend. Sei es, dass man nicht genau weiß, wie eine Untersuchung ablaufen wird, oder dass man Angst vor dem Ergebnis hat. Jeder hat schon von erschreckenden Erlebnissen im Bekanntenkreis gehört, und im Internet sind häufig emotional aufwühlende Berichte zu finden. All das erzeugt – absolut nachvollziehbar – Aufregung, Ängste und Sorgen. Eben daher ist eine empathische und offene Haltung, die auch ein Gespräch über Sorgen erlaubt, von so großer Bedeutung im Kontakt mit PatientInnen. Und deshalb bin ich froh, dass Kommunikation in den kommenden Jahren eine größere und angemessene Bedeutung in der Ausbildung von Medizinstudierenden erhalten wird, um so zu einer optimalen Versorgung und Behandlung von PatientInnen beizutragen.