Unerwünschte Wirkungen, auch Nebenwirkungen genannt, sind Effekte eines Arzneimittels oder einer Therapie, die nicht beabsichtigt sind. Ob und in welchem Ausmaß sie auftreten, hat viel mit unseren Erwartungen zu tun.

Nebenwirkungen

Positive wie negative Erwartungen beeinflussen Wirkungen und Nebenwirkungen eines Medikaments.

Das Auftreten unerwünschter Wirkungen wird auch über Erwartungen gesteuert, die Menschen aufbauen, wenn sie Informationen über mögliche Nebenwirkungen lesen und hören.

Prof. Manfred Schedlowski, klinischer Psychologe Universität Duisburg-Essen

Was sind Nebenwirkungen?

Als Nebenwirkungen oder unerwünschte Wirkungen gelten alle nicht beabsichtigten Effekte eines Arzneimittels oder einer Therapie. Ein alter Spruch sagt aber: Wo es keine Nebenwirkungen gibt, da ist auch keine Wirkung. Das bedeutet: Wirksame Substanzen können potenziell immer auch unerwünschte Effekte auf Organsysteme hervorrufen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welchem Ausmaß, ist allerdings sehr unterschiedlich von Medikament zu Medikament und von der einen zur anderen behandelten Person.

Bevor ein neues Medikament zugelassen wird, muss es in klinischen Studien seine Wirksamkeit beweisen und zeigen, dass keine bedrohlichen Nebenwirkungen auftreten. Aber je schwerer eine Erkrankung ist, umso höher ist die Toleranz der Behörden, auch gravierende, aber äußerst selten auftretende Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Verordnet etwa ein Arzt ein Medikament zur Behandlung einer Erkrankung, gilt es, immer das Nutzen-Risiko-Verhältnis genau abzuwägen. Lesen Sie dazu auch den Beitrag: „Was ein Arzt oder eine Ärztin von mir wissen sollte“.

Prof. Ulrike Bingel, Leiterin der Schmerzambulanz der Universitätsmedizin Essen, rät Patientinnen und Patienten, sich von der Ärztin oder dem Arzt ihres Vertrauens aufklären zu lassen und folgende Fragen in dieser Reihenfolge zu stellen:

  • Warum soll ich das Medikament einnehmen?
  • Welchen Vorteil habe ich davon?
  • Welche Erfahrungen haben Sie als Ärztin oder Arzt mit dieser Behandlung gemacht?
  • Was sind mögliche Alternativen?
  • Welche unerwünschten Wirkungen können auftreten, und was soll ich dann tun?

Nebenwirkungen treten selten zwangsläufig auf. Häufigkeit und Schweregrad hängen von den Merkmalen der behandelten Personen (etwa Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, genetische Faktoren) und vom Arzneimittel (Art der Anwendung, Behandlungsdauer, Dosierung, Bioverfügbarkeit) ab.

Nebenwirkungen von Arzneistoffen können durch verschiedene Mechanismen entstehen:

  • Es kann zu Wechselwirkung mit anderen Arzneien kommen, oder in bestimmten Situationen, wie in der Schwangerschaft oder beim Autofahren, wirken sich Wirkstoffe ungünstig aus.
  • Auch allergische Reaktionen oder Überempfindlichkeit auf den Wirkstoff oder Trägersubstanzen sind möglich.
  • Nicht jeder Organismus reagiert gleich. Es besteht eine dosisabhängige individuelle Toleranz des Wirkstoffs, also wie viel man davon verträgt. Das hängt auch vom Gewicht, von Vorerkrankungen und dem Alter ab.
  • Der Wirkstoff beeinträchtigt unter Umständen auch im Nebeneffekt andere Organsysteme: So wirken Antibiotika nicht nur gegen krankmachende Erreger, sondern auch gegen einige Darmbakterien, die für uns nützlich sind.
  • Ein Wirkstoff kann aber auch z.B. toxisch, also giftig, sein. Etwa Substanzen der Chemotherapie zerstören die sich schnell teilenden Krebszellen. Aber die meisten Chemotherapeutika wirken eben nicht nur auf Krebszellen, sondern auch auf andere Zellen, auch wenn die sich nicht so schnell teilen und daher von dem Wirkmechanismus nicht so stark betroffen sind.

Beipackzettel erklären Nebenwirkungen – aber nicht den Nutzen eines Medikaments

Alle potenziell möglichen Nebenwirkungen von Medikamenten werden im Beipackzettel des Arzneimittels, der strenge arzneimittelrechtliche Bestimmungen erfüllen muss, erwähnt. Dort werden alle Nebenwirkungen, die z.B. in klinischen Studien (siehe Glossar) aufgetreten sind, aufgelistet – auch dann, wenn nicht sicher ist, ob diese wirklich auf das Medikament zurückzuführen sind. Daher werden selbst für harmlose Medikamente ganze Litaneien von "sehr häufigen" bis "sehr seltenen" Nebenwirkungen aufgelistet.

Der Beipackzettel für den beliebten und frei verkäuflichen Schmerzstiller und Fiebersenker Paracetamol nennt zum Beispiel als sehr seltene Nebenwirkungen (trifft auf einen von 10.000 Behandelten zu): allergische Reaktionen bis zum allergischen Schock, schwere Hautreaktionen, schmerzmittelinduziertes Asthma und Veränderungen des Blutbilds. Eine durchaus beängstigende Menge an Warnhinweisen zur Einnahme ist abgedruckt – vor allem der Einfluss auf die Leber- und Nierenfunktion.

Was man allerdings vergebens sucht, sind Hinweise über die erwünschten Effekte, den genauen Wirkmechanismus und den individuellen Nutzen. Lesen Sie dazu auch den Beitrag: „Wie lese ich einen Beipackzettel richtig?“.

So wichtig ist das Gespräch bei der Ärztin oder dem Arzt

Für Sven Benson, Professor für medizinische Psychologie an der Universität Duisburg-Essen, startet das große Thema Nebenwirkungen bereits mit der Kommunikation bei der Verschreibung im Arztzimmer. „Ich verschreibe Ihnen mal was...“ ist seiner Meinung nach nicht ausreichend als Erklärung. „Man muss Folgen, aber auch Nutzen und Wirkmechanismen erklären, weil Patientinnen und Patienten Symptome ihrer Erkrankung manchmal gar nicht bewusst wahrnehmen. Bluthochdruck ist ein gutes Beispiel, denn die behandelte Person bemerkt in diesem Fall keinen Unterschied, ob sie das Medikament einnimmt oder nicht – zunächst. Hier muss man deutlich den langfristigen Nutzen einer Therapie erklären“, so Bensons Rat an die Kolleginnen und Kollegen. Bereits hier beginnen Placebo- und Noceboeffekte. (Erklärungen dazu finden Sie hier). Denn wer zu Hause dann allein und ohne weitere Möglichkeiten, Fragen zu stellen und kompetent beantwortet zu bekommen, den Beipackzettel liest, fühlt sich unter Umständen abgeschreckt und unsicher.

Die Auflistung schreckt manche Menschen von der Einnahme eines hilfreichen Medikaments ab. Eine deutsche Studie mit 2500 repräsentativ ausgewählten Erwachsenen kam 2012 zu dem Schluss, dass 33 bis 50 Prozent der Befragten die verordneten Arzneien gar nicht oder nicht richtig einnahmen. Einer der Hauptgründe für die mangelnde Therapietreue, auch Adhärenz genannt, waren befürchtete oder erlebte Nebenwirkungen.

Berichte über schwere Nebenwirkungen bremste 2021 auch die gerade erst angelaufene breite Impfkampagne gegen Covid-19. So betrafen Hirnvenenthrombosen bei jüngeren Frauen zwar nur ein bis zwei von 100.000 Geimpften. Auch die Herzmuskelentzündung bei jungen Männern trat durch die Impfung sehr viel seltener auf als bei der Covid-Erkrankung selbst. Aber die Angst vor möglichen Nebenwirkungen hatte sich dauerhaft in den Köpfen vieler Menschen festgesetzt und blieb größer als die Furcht vor der Erkrankung.

Die eigene Erwartungshaltung beeinflusst das Auftreten von Nebenwirkungen

Hier kommt eine Besonderheit von Nebenwirkungen ins Spiel, mit der sich auch die Forschung des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“ befasst. Ob und wie stark unerwünschte Effekte bei einer Therapie auftreten, hängt nämlich in hohem Maße von der Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten ab. Wer in Sorge minutiös den Beipackzettel studiert hat, wird tatsächlich eher Nebenwirkungen entwickeln als jemand, der der Aufklärung durch seinen Arzt oder seine Ärztin vertraut und der Medikamenteneinnahme positiv gegenübersteht.

Allein durch die Art der Kommunikation können Behandelnde dazu beitragen, dass sich bei Ihnen als Patient oder Patientin in der konkreten Situation positive Erwartungen entwickeln. Ihre Zweifel lassen sich mit guter Information hoffentlich zerstreuen: Die behandelnde Person kann Ihnen z.B. erklären, dass eine „neue große Studie die Unbedenklichkeit bestätigt hat“. Sie wird Ihnen die möglichen Nebenwirkungen nicht verschweigen, aber die gewünschte Wirkung eines Medikaments betonen, indem sie Ihnen sagt: „90 Prozent vertragen das Medikament sehr gut und ohne Probleme, und nur bei 10 Prozent treten Nebenwirkungen auf.“ Sie kann Ihnen von Erfahrungen bei anderen PatientInnen berichten, weil sie dieses Medikament unter Umständen bereits häufig verordnet und Rückmeldungen von den Behandelten bekommen hat. Fragen Sie sie ruhig danach.

Ganz wichtig ist: Natürlich müssen Sie, wenn Nebenwirkungen bei Ihnen auftreten, Ihren Arzt oder Ihre Ärztin informieren. Denn das könnten unerwünschte Wirkungen sein. Sie sollten aber über den Noceboeffekt Bescheid wissen.

Der schädliche Noceboeffekt

So wie positive Erwartungen die Wirkung einer Therapie verbessern können (Placeboeffekt), so verstärken negative Erwartungen die unerwünschten Begleiterscheinungen (Noceboeffekt). Das Wissen um mögliche Beschwerden, die auftreten können, führt dazu, dass wir genau diese Symptome bei uns wahrnehmen. Das konnten verschiedene Untersuchungen zeigen, in denen echte Behandlungen mit Scheintherapien verglichen wurden. Hier zwei Beispiele:

  • Besonders eindrucksvoll zeigt eine Studie zur Corona-Impfung dieses Phänomen. Die Auswertung internationaler Untersuchungen ergab, dass für rund drei Viertel aller berichteten Nebenwirkungen nach der ersten Impfung der Noceboeffekt verantwortlich sein dürfte. Die Erwartung der frisch Geimpften, Kopfschmerzen und Müdigkeit zu spüren, führte zu einem starken Auftreten eben dieser Nebenwirkungen. Und: Auch in der Gruppe, die eine Scheinimpfung ohne Impfstoff bekommen hatte, klagten rund 35 Prozent über diese Symptome. Winfried Rief, Professor für klinische Psychologie der Universität Marburg, der an der Studie beteiligt war, wünscht sich mehr Aufklärung der Bevölkerung über den Noceboeffekt. Im Zusammenhang mit der Corona-Impfung sei der Effekt besonders unglücklich, weil er Ängste und Bedenken gegenüber der Impfung fördert.
  • 2020 zeigte eine Studie, dass die Muskelschmerzen, über die viele Menschen klagen, die cholesterinsenkende Statine einnehmen, auch durch den Noceboeffekt beeinflusst werden. 90 % der Personen, die ein Placebo statt des Medikaments erhielten, berichteten über Muskelschmerzen, aber nur wenn sie zuvor unter Medikamenteneinnahme die Schmerzen erlebt hatten.
  • Möglicherweise wirkt auch beim gefürchteten Long-Covid-Syndrom ein Noceboeffekt: 10 bis 15 Prozent der Infizierten leiden nach einer Covid-19-Infektion noch Wochen bis Monate unter Müdigkeit, Atembeschwerden, Gliederschmerzen oder Konzentrationsproblemen. Nahezu ebenso viele Menschen zeigen diese Symptome, wenn sie nur glauben, infiziert gewesen zu sein. Das haben französische Forschende in einer Studie herausgefunden. Daraus schlussfolgern die Autorinnen und Autoren der Studie, dass die eigene Erwartung auch bei der Entwicklung des Long-Covid-Syndroms wohl eine Rolle spielt.

Sprechen Sie über Ihre Bedenken!

Das Wissen um den Noceboeffekt kann Nebenwirkungen und unerwünschte Wirkungen nicht in Luft auflösen – aber mehr Sicherheit beim Arzt-Patienten-Gespräch und bei der Lektüre von Beipackzetteln geben. Die realistische Einschätzung des Risikos einer unerwünschten Wirkung ist für jeden Menschen wichtig und auch ein Aspekt, den Sie als Patientin oder Patient im Gespräch mit den jeweiligen behandelnden unbedingt ansprechen sollten.

Unsere Bitte

Erzählen Sie uns Ihre persönliche Geschichte mit dem Placeboeffekt! Medizin lebt auch von Erzählungen. Deshalb sammeln wir für den Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ die vielfältigen Erfahrungen von Patientinnen und Patienten mit ihren eigenen Erwartungen. Wir freuen uns.
Näheres erfahren Sie hier.

*Nach Rücksprache mit Patientinnen, Patienten und Vertretern von Patientenorganisationen haben wir uns entschieden, für die Texte, die sich direkt an Patienten wenden, in der Ansprache die weibliche und männliche Form oder ein großes Binnen-I anzuwenden. Ist dies nicht sinnhaft, haben wir zugunsten der besseren Verständlichkeit und des Leseflusses auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.