Herr Schmidt

Zwei Drittel aller Deutschen nutzen digitale Gesundheitsangebote, für ein knappes Viertel spielen soziale Medien wie Twitter, Instagram oder Facebook eine Rolle, und 63 Prozent gehen nach einem Arzttermin ins Internet. (Quellen: bitkom und Stiftung Gesundheitswissen)

Was wir von anderen über soziale Netzwerke hören und sehen, hat die Macht, unsere eigene Reaktion zu beeinflussen – und zwar über Noceboeffekte.

Prof. Ben Colagiuri, Psychologe an der Universität of Sydney/Australien

Wenn wir etwas nicht verstehen, fragen wir meist zuerst das Internet. Und das gilt auch für den medizinischen Bereich. Drei Viertel aller Deutschen haben sich generell schon einmal gezielt über Gesundheitsthemen informiert, vor allem in der Arztpraxis, aber auch in den Medien und dort vorwiegend im Internet (Stichwort Dr. Google). Das hat die HINTS Germany Studie 2020 und 2022 (https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/projekt-hints-germany) über das Gesundheitsinformationsverhalten in Deutschland ergeben. Die Befragung hat auch gezeigt, dass das Vertrauen in die Aussagen der digitalen und Printmedien dabei deutlich hinter den Infos von Arzt oder Ärztin rangiert. Das liegt nicht zuletzt an der Menge, Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit im digitalen Informationsdschungel.

Wie also sollen Laien aus dem riesigen Angebot an Gesundheitsthemen zwischen schwer verständlichen Fachinformationen und unseriösen Quellen die gute und für sie passende Gesundheitsinformation herausfiltern - und zwar die, die nicht durch Panikmache und Übertreibungen Ängste auslöst und damit das Risiko von Noceboeffekten erhöht? Der Noceboeffekt ist das Gegenteil vom Placeboeffekt. Im ursprünglichen Sinn bezeichnet der Begriff die Verschlechterung des Befindens nach der Gabe eines Scheinmedikaments. Im weiteren Sinn umfasst er die Effekte von negativen Erwartungen an ein Medikament oder eine Behandlung, etwa der Zweifel an der Wirksamkeit einer Therapie.

Beachten Sie die Fallstricke im Internet, wenn Sie nach gesicherten medizinischen Informationen aus zuverlässiger Quelle suchen, und lernen Sie mit unserem Leitfaden richtig zu recherchieren.

Das Internet bietet viele Gesundheitsinformationen, aber bitte nicht nur die Überschrift lesen
Wer sich für Gesundheitsthemen interessiert, findet informative Texte in klassischen Printmedien, in TV-Gesundheitssendungen oder Radioprogrammen der öffentlich-rechtlichen wie privaten Sender. Das ist meist sehr solide dargestellt, oft von aktuellem Geschehen (Corona-Pandemie!) dominiert oder orientiert sich an spannenden neuen Erkenntnissen aus der Forschung. Allerdings „verkauft“ die Presse so etwas gern reißerisch mit „Endlich Heilung?“ oder „Medizin-Sensation!“. Das enttäuscht Betroffene, verärgert Ärztinnen und Mediziner und lehrt, dass man nicht nur Überschriften lesen darf.

Zu Dr. Google gehen zwei Drittel der Deutschen
Wer gezielt Informationen zu einem Symptom, einer akuten Erkrankung, einer Diagnose, einem Medikament oder einem Krankheitsbild benötigt, geht ins Internet. „Schnell mal etwas googeln“ ist Standard im Alltag geworden, Suchmaschinen zum universellen Nachschlagewerk für alle Lebensfragen. In Deutschland findet die Informationssuche überwiegend bei Google statt. Zwei Drittel der Deutschen nutzen digitale Gesundheitsangebote. Etwa die Hälfte schaut dabei auch auf Videoplattformen, in erster Linie YouTube, und für ein knappes Viertel spielen soziale Medien eine Rolle in der Gesundheitsinformation. Erste Anlaufstelle ist für viele das Online-Lexikon Wikipedia. Auch das sind Ergebnisse der HINTS-Studie.

Suche nach Gesundheitsinformation im Internet vor und nach dem Arztbesuch
Der Digitalverband Bitkom stellte im Januar 2023 eine Umfrage vor, wie Deutsche über 16 Jahre das Internet zu Gesundheitsfragen nutzen [https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-recherchieren-Symptome-Internet]. 62 Prozent der Befragten googeln ihre Symptome vor einem Arztbesuch. Nach einem Arzttermin gehen 63 Prozent nochmals ins Internet. Dann suchen sie vor allem nach möglichen Behandlungsmethoden. Fast ein Viertel gab an, sich nicht mehr an alle Details aus dem Arztgespräch erinnern zu können und die Lücke mithilfe des Internets schließen zu wollen. 15 Prozent haben die Erläuterungen von Arzt oder Ärztin nicht verstanden und recherchieren deshalb im Anschluss an den Termin. Das bedeutet: Fast die Hälfte aller Patientinnen und Patienten fühlt sich nach dem Arztbesuch nicht ausreichend informiert.

Patienten wollen ärztliche Empfehlung überprüfen
Die Bitkom-Daten bestätigen das Ergebnis einer 2018 veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung [https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/das-internet-auch-ihr-ratgeber-fuer-gesundheitsfragen], wonach Patienten und Patientinnen im Internet vor allem ärztliche Empfehlungen prüfen und sich über Behandlungsalternativen informieren wollen. Sie suchen im Netz aber auch den Austausch und die emotionale Unterstützung, nachdem eine Diagnose gestellt wurde. Im Sprechzimmer jedoch verschweigt jeder Dritte die eigene Online-Forschung, so ein weiteres Ergebnis der Befragung. Und nur 20 Prozent der Ärzte und Ärztinnen ermutigen ihre Patienten zur aktiven Konsultation im Internet mit konkreten Empfehlungen für bestimmte Webseiten. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass 65 Prozent der Befragten bemängeln, dass vertrauenswürdige Infos im Netz schwer zu erkennen seien. Vor allem Seiten, die bevorzugt ganzheitliche und naturheilkundliche Methoden präsentieren, werden von Laien sehr geschätzt.

Sie dürfen skeptisch sein!
Wer wenig Erfahrung mit Online-Recherchen hat, glaubt vielleicht, dass die besten und informativsten Webseiten zu einem Thema ganz oben stehen. Das ist nicht der Fall. Die ersten Plätze auf Seite 1 bei Google lassen sich Unternehmen viel Geld kosten – sie sind mit „Gesponsert“ markiert. Den Rest erledigt der Algorithmus der Suchmaschine. Eine Programmierung bestimmt also über die Reihenfolge von Webseiten, nicht die Qualität des Inhaltes! Firmen und Verlage beschäftigen ganze SEO-Abteilungen (Search Engine Optimization = Suchmaschinenoptimierung), damit das eigene Angebot möglichst weit oben landet. Algorithmen der sozialen Medien spülen auch bevorzugt katastrophisierende Berichte nach oben, weil die häufig angeklickt und geliked werden.

Kritischer Blick bei der Suche im Netz
Besonders Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen fühlen sich im Kreis von Betroffenen verstanden und gut aufgehoben. Manche Selbsthilfe-Seiten führen jedoch weit weg von Fakten und Forschung. Und nicht jede Fallgeschichte oder individuelle Therapieerfahrung passt auch zu anderen Betroffenen. Erlebnisberichte können Mut, aber auch zusätzlich Angst machen. Also ist auch hier ein kritischer Blick sinnvoll.
Man findet im Netz sehr gut gemachte und ansprechende Seiten von Pharmafirmen mit qualitativ hochwertiger Information, etwa zu Krankheitsbildern. Aber es sind eben Gesundheitsprobleme, für die das jeweilige Unternehmen auch Therapien im Angebot hat. Nach dem Arzneimittelwerbeverbot dürfen Produkte nicht „beworben“ werden, deshalb beschränkt man sich auf ein Informationsangebot, das aber unter Umständen nicht alle Aspekte einer Behandlung und ihre Alternativen neutral darstellt. Negative Aspekte und etwa kritische Studien dürften auf diesen Seiten selten zu finden sein. Das sollte jeder bei der Lektüre im Hinterkopf behalten.

Vorsicht vor dem Noceboeffekt durch (zu viel) Gesundheitsinformation
Jeder sucht Gesundheitsinformationen mit bestimmten Erwartungen, Vorerfahrungen und Grundeinstellungen. Der Suchbegriff „Medikament XY Nebenwirkungen“ zeugt vielleicht von einer Vorerfahrung oder von einer negativen Erwartungshaltung. Beim Suchergebnis bleiben dann oft die positiven Effekte der Arznei XY außen vor. Ängste und Ablehnung können sich verstärken. So liefert das Googeln neben der Information den Noceboeffekt gleich mit. Wie schnell das geht, hat 2020 ein Experiment am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Köln gezeigt. Für die Studie sollten Studierende im Internet fünf Minuten lang zu Symptomen ihrer individuellen Alltagsbeschwerden recherchieren. Die Testpersonen googelten nach Verdauungsstörungen, Erkältung oder Kopfweh. Schon nach der kurzen Zeit machten sich die meisten größere Sorgen um ihre Gesundheit, die Beschwerden erschienen ihnen weniger harmlos als zuvor.

Achten Sie also darauf, welche Begriffe Sie in die Suchleiste eingeben. Das ist entscheidend für das Suchergebnis.

Soziale Netzwerke beeinflussen die Wahrnehmung
Ben Colagiuri, Psychologe an der Universität von Sydney, Australien, ist einer der internationalen Experten, der die Rolle von Erwartungen und Placebo- und Noceboeffekten im Zusammenhang mit sozialen Medien untersucht. In zwei Studien untersuchte Colagiuri gemeinsam mit Forschenden aus Australien, den USA, Großbritannien und Dänemark den Zusammenhang zwischen Beiträgen in den sozialen Medien wie X (vormals Twitter) und den eigenen Nebenwirkungen der Covid-19-Impfung. Es stellte sich ebenfalls heraus, dass Nebenwirkungen häufiger berichtet und auch als stärker beschrieben wurden, wenn Menschen vor der Impfung negativen Meldungen von Post-Impfreaktionen in den sozialen Medien und durch persönliche soziale Kontakte ausgesetzt waren. Je mehr negative persönliche Posts die Befragten über Nebenwirkungen der Impfung auf diversen sozialen Plattformen gelesen hatten, desto eher berichteten sie über stärkere Nebenwirkungen nach ihrer Corona-Impfung. Unter diesem Link erfahren Sie weitere Details zu den wegweisenden Studien und ein Interview mit Ben Colagiuri.

Bietet YouTube gute Gesundheitsinformationen?
Bei den sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube kann sich jeder digital zu Wort melden. Neben digital-affinen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Gesundheitsberufen präsentieren auch Influencer mit einer bestimmten, nicht immer klar dokumentierten Mission Gesundheitsthemen in den Sozialen Medien. Um den Wildwuchs zumindest etwas zu steuern, hat YouTube ein Qualitätssiegel für Gesundheitsinformationen eingeführt. Seit Ende Februar 2023 können Ärztinnen und Ärzte, Organisationen sowie Krankenhäuser in Deutschland das „YouTube Health“-Siegel erhalten. Es zeigt, dass ein Video unter medizinischer Kontrolle entstanden ist.

Wie informiere ich mich richtig über Gesundheit im Internet?
Ratgeber für die erfolgreiche Internetsuche nach Krankheiten, Therapien oder Medikamenten weisen immer auf die Seiten unabhängiger Organisationen, gemeinnütziger Einrichtungen oder von Forschungsinstituten hin. Dort ist gewährleistet, dass es nicht um versteckte Werbung für Präparate geht, dass die Informationen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und aktuell sind. Die Erklärungen sind für Laien verständlich, weder dramatisieren sie eine Erkrankung noch spielen sie deren Ernsthaftigkeit herunter. Und: Gute Seiten weisen immer darauf hin, dass ihre Informationen nicht den Arztbesuch ersetzen.

Eine seriöse Webseite erklärt, wer für den Inhalt verantwortlich ist, wie sich die Seite finanziert und wie die User-Daten geschützt werden. Dieses „Kleingedruckte“ mag die meisten Besucher der Seite wenig interessieren, zeugt aber von Qualität. Dazu gehören auch Hinweise auf die Quellen der Informationen oder Querverweise auf weiterführende Literatur oder Anlaufstellen.

Viele seriöse Gesundheitsportale legen auch Wert auf Gütesiegel, etwa von der gemeinnützigen Stiftung „Health On the Net“ aus der Schweiz. Das Siegel bekommen Seiten, die festgelegte Regeln einhalten, wie die Offenlegung der Finanzierung, klare Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt sowie Transparenz. Ähnliche Kriterien legt das Siegel vom deutschen „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (afgis) bei Medizin-Webseiten an. Das Siegel fordert auch gute Bedienbarkeit und Verständlichkeit der Seiten.

Die folgenden acht Tipps können Ihnen helfen, seriöse und gesicherte Informationen zu Ihrer Gesundheit im Internet zu finden:

  1. Wer sagt das? Gute Seiten verraten, wer sie betreibt und finanziert, legen Quellen offen und kennzeichnen Anzeigen deutlich. Wer es sich zutraut, kann auch mal in die Originalstudien schauen, wenn diese verfügbar sind. Sie sind zumeist auf Englisch geschrieben und wirklich nicht für jedermann verständlich, aber oft genügt auch ein kurzer Blick, um sich zu vergewissern, wer die Studie verfasst hat, wann sie erstellt wurde und welche weiteren Artikel zu dieser Studie auftauchen.
  2. Ist die Info aktuell? Im Netz geht nichts verloren, aber vieles in der Medizin ändert sich in wenigen Jahren. Wenn es zum Beispiel um „neue Therapien“ oder „erste Studienergebnisse“ geht, sollten die Texte nicht älter als zwei oder drei Jahre sein. Erhöhte Vorsicht ist bei „vorläufigen“ Ergebnissen geboten, wenn Studien während einer laufenden Datenerhebung Zwischenergebnisse veröffentlichen. Diese können sich mit Abschluss der Studie noch ändern.
  3. Sensationeller Therapieerfolg? Seien Sie skeptisch bei Seiten mit großen Versprechungen. Checken Sie auf mehreren unabhängigen Webseiten, ob an der „Sensation“ etwas dran ist und ob verschiedene Medien unterschiedlich darüber berichten.
  4. Schuppenflechte oder Psoriasis? Bei der Suche nach Krankheiten neben dem deutschen eventuell noch den lateinischen Namen eingeben, vor allem, wenn wissenschaftliche Texte erwünscht sind. Bei Medikamenten besser die Bezeichnung des Wirkstoffs eingeben, um mehr relevante Ergebnisse zu bekommen.
  5. Zu viele unbrauchbare Treffer? Präzisieren Sie die Stichwortsuche. Wer „Rückenschmerzen“ googelt, bekommt knapp 28 Millionen Treffer angezeigt, bei „Lendenwirbelsäule stechender Schmerz“ sind es immerhin nur noch knapp 48.000 – und hilfreiche Infos sind weiter vorn bei Google zu finden.
  6. Weiß Dr. Google alles besser? Google schlägt beim Suchfeld automatisch bestimmte Begriffspaare vor sowie ein Extrafeld „Ähnliche Fragen“. Das ist nützlich, um vielleicht schneller auf die richtige Suchspur und zu einer präzisen Antwort zu kommen. Richtiges Suchen will nämlich auch gelernt sein.
  7. Hilfreiche Quelle entdeckt? Damit Sie sie später wiederfinden, unbedingt die Seite bei den Favoriten speichern. Oder machen Sie einen Screenshot (ein Foto Ihrer Bildschirmseite auf dem Computer oder Handy), den Sie dem Arzt beim nächsten Mal zeigen können.
  8. Der beste Rat ist: Fragen Sie Ihren Arzt, Ihre Ärztin und auch in Ihrer Apotheke konkret nach weiterführenden Informationen.

14 allgemeine Gesundheitsseiten im Internet, denen Sie vertrauen dürfen:

bzga.de

bzga.de (https://www.bzga.de/):
Auf der Webseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) finden Sie qualitativ sehr gute kostenlose Info-Materialien zu allgemeinen gesundheitlichen Themen wie Sucht, Ernährung, Bewegung, Schlaf, Stress – in vielen Sprachen.

*Nach Rücksprache mit Patientinnen, Patienten und Vertretern von Patientenorganisationen haben wir uns entschieden, für die Texte, die sich direkt an Patienten wenden, in der Ansprache die weibliche und männliche Form oder ein großes Binnen-I anzuwenden. Ist dies nicht sinnhaft, haben wir zugunsten der besseren Verständlichkeit und des Leseflusses auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.