Wie beeinflussen Erwartungen den Behandlungserfolg bei psychischen Störungen? Wie entstehen solche Erwartungen, und wie lassen sie sich verändern? Und wie können Behandelnde dieses Wissen nutzen, damit PatientInnen eine möglichst gute Einstellung zu Therapien entwickeln und möglichst wenig unter Nebenwirkungen leiden müssen? Fragen wie diese beschäftigen Prof. Winfried Rief an der Philipps-Universität Marburg

Prof. Winfried Rief

Prof. Dr. Dipl. Psych. Winfried Rief ist Leiter der Psychotherapie-Ambulanz und der Einheit Klinische Psychologie und Psychotherapie der Philipps-Universität Marburg

Unsere Erwartungen sind die entscheidende Stellgröße über Glücklich-Sein oder Unglücklich-Sein.

Prof. Winfried Rief, Leiter der Psychotherapie-Ambulanz und der Einheit Klinische Psychologie und Psychotherapie der Philipps-Universität Marburg, Standortsprecher des Sonderforschungsbereichs Treatment Expectation für die Universität Marburg

Ich bin Leiter der Psychotherapie-Ambulanz und des Psychotherapie-Ausbildungsbereichs Erwachsene an der Universität Marburg. Als Psychologe und Psychotherapeut behandle ich überwiegend PatientInnen mit chronischen Schmerzen, also Schmerzen, die über mehrere Monate anhalten oder immer wiederkehren, aber genauso PatientInnen mit Depressionen, chronischen Angstzuständen und vielem mehr. Ein Schwerpunkt des von mir geleiteten Bereichs ist die Vernetzung von Erkenntnissen und Behandlungsansätzen in der Schnittstelle zwischen Medizin und Psychologie. Wir leben in meiner Arbeitsgruppe die Einheit von Forschung, Lehre/Ausbildung und klinischer Anwendung, um somit vielen Menschen mit höchst unterschiedlichen Krankheitsbildern eine Hilfe anzubieten. Auch deshalb würde ich mich als „Clinician Scientist“ bezeichnen, als jemand, der Wissenschaft und klinische Versorgung kombiniert und sich von beidem inspirieren lässt.

Und hier interessieren mich und mein Team viele spannende Fragen:

  • Wie beeinflussen Erwartungen den Behandlungserfolg bei psychischen Störungen (z.B. Depressionen), aber auch bei körperlichen Krankheiten (z.B. PatientInnen in der Herzchirurgie)?
  • Wie entstehen solche Erwartungen, und wie lassen sich Erwartungen auch verändern? Und warum bleiben manchmal Erwartungen bestehen, obwohl Menschen Erfahrungen machen, die den bisherigen Erwartungen widersprechen?
  • Wie können ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen sich so verhalten, dass PatientInnen eine möglichst gute Einstellung zu den Behandlungsmöglichkeiten entwickeln und möglichst wenig unter Nebenwirkungen leiden müssen?

Dabei verlieren wir nie die Probleme des einzelnen Patienten oder der einzelnen Patientin aus dem Blick: Wie können wir unsere Erkenntnisse einsetzen, um unsere PatientInnen möglichst optimal zu unterstützen, sodass sie möglichst gut von Behandlungen profitieren und möglichst wenig Nebenwirkungen entwickeln?

Ich habe an der Universität Trier Psychologie studiert, an der Universität Konstanz und dem psychiatrischen Landeskrankenhaus Reichenau promoviert und war dann viele Jahre in Kliniken tätig. Im Jahr 2001 kam ich zurück in die universitäre Landschaft und nahm die Professur für klinische Psychologie und Psychotherapie an, nachdem ich zuvor parallel zur klinischen Tätigkeit auch an der Universität Salzburg habilitierte. Es folgten Forschungsaufenthalte an der Harvard Medical School, USA, Auckland, Neuseeland, und San Diego, USA.

Prof. Winfried Rief: an der Schnittstelle zwischen Medizin und Psychologie

Was mich persönlich bewegt

Wie wirken psychische Prozesse bei körperlichen Krankheiten und auf körperliche Funktionen?
Die Schnittstelle und Verbindungsglieder zwischen Psyche und Körper haben seit meinem Studium schon eine große Faszination auf mich ausgeübt. Gleichzeitig war ich auch unzufrieden mit den Ansätzen, die damals übliche Lehrmeinung waren – damit wollte ich mich nicht begnügen. Morgenluft für einen neuen Ansatz schnupperte ich dann durch internationale ExpertInnen, die mein weiteres Denken prägten: Die Schnittstellen zwischen Immunsystem und seelischem Wohlbefinden (Janice Kiecolt-Glaser, USA), die Rolle von subjektiven Krankheitsannahmen bei Herzinfarkt-PatientInnen (Prof. Keith Petrie, Neuseeland) oder bei zahlreichen anderen körperlichen Krankheiten (Prof. John Weinman, UK) stimulierten ein neues Denken darüber, wie psychische Faktoren wesentlich den Verlauf körperlicher Krankheiten beeinflussen können.

Zusätzlich waren Themen wie unklare körperliche Beschwerden oder chronische Schmerzzustände ideale Gebiete für mich, um Wissenschaft mit klinischer Anwendung und Behandlung zu verknüpfen.

Warum die Placeboforschung für mich so faszinierend ist.
Die große Faszination der Placeboforschung liegt für mich darin, dass es dabei nicht nur um die Vergabe von Placebopillen geht: Die Placeboforschung ist für mich das Paradigma schlechthin, bei dem die Rolle des Menschen in seiner Gesamtheit und deren Einfluss auf medizinische Maßnahmen berücksichtigt werden. Wie beeinflusst Stress körperliches Wohlbefinden? Wie können ÄrztInnen sich so verhalten, dass sie bei PatientInnen glaubwürdig erscheinen? Wie können wir das große Potenzial an oft unbeachteten Kontextfaktoren nutzen, um Therapien noch wirkungsvoller und verträglicher zu machen? Jeder Mensch, jeder Patient und jede Patientin, ist nicht nur neutrale/r EmpfängerIn medizinischer Maßnahmen, sondern hat eigene Einstellungen dazu, Erwartungen, und ein individuelles Verhalten im Umgang mit Krankheit und Behandlung. Wenn wir dies berücksichtigen, tragen wir nicht nur zu effektiveren Behandlungen bei, sondern auch zu menschlicherer, personalisierterer Medizin und einem entsprechenden Gesundheitssystem.

Was mir Freude im Leben bereitet.
Immer wieder einzutauchen in ein neues Thema, mich mit anderen darüber auszutauschen und zu überlegen, wie man wissenschaftliche Themen mit praktischen Behandlungserfahrungen verknüpfen kann, das sind für mich Quellen beruflicher Zufriedenheit. Dabei war für mich die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die gerade die Placeboforschung auszeichnet, immer eine Bereicherung. Der gegenseitige Respekt für die unterschiedlichen Expertisen war mein Motor, nicht nur für wissenschaftliche Erkenntnis, sondern auch für persönliche Freude an der Arbeit.

Über die Jahre ist mein Team gewachsen, und die Unterstützung von WissenschaftlerInnen, ihren Weg in der klinisch angewandten Forschung zu finden, wurde zunehmend zu einem Lebensinhalt, der ebenfalls Freude und Bestätigung geben kann.

Privat freue ich mich an den Beziehungen, die ich habe und pflege. Gemeinsam ein gutes Essen und/oder einen schönen Wein genießen, plaudern und nicht immer ernst sein, gemeinsam Neues erkunden, führen dazu, dass Langeweile eher ein Fremdwort für mich ist. Aber ich liebe auch die körperliche Erfahrung bei der Bewegung, sei es im Wasser, am Berg oder im Schnee.

*Nach Rücksprache mit Patientinnen, Patienten und Vertretern von Patientenorganisationen haben wir uns entschieden, für die Texte, die sich direkt an Patienten wenden, in der Ansprache die weibliche und männliche Form oder ein großes Binnen-I anzuwenden. Ist dies nicht sinnhaft, haben wir zugunsten der besseren Verständlichkeit und des Leseflusses auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.