Wie muss die Ärztin oder der Arzt mich vor einer Placebo-Behandlung aufklären? Kann ich auch ohne eigenes Wissen Placebos bekommen? Und inwieweit darf ich als Patientin oder Patient bei so einer Behandlung mitentscheiden? Die Juristin Dr. Annabelle Wolf klärt über den rechtlichen Rahmen von Placebo-Anwendungen auf.

Ärztin und Patient

Der Einsatz von Placebos in der Medizin kann schwierige Fragen aufwerfen. Wichtig ist daher, dass Patienten und Patientinnen ihre Rechte kennen – und Behandelnde offen aufklären.

Der Arzt muss über alle für die Einwilligung wesentlichen Umstände informieren, darf nichts beschönigen und nichts dramatisieren.

Rechtswissenschaftlerin Dr. Annabelle Wolf

Placebos können heilen helfen, das ist seit langem bekannt. Doch ihr Einsatz im Rahmen einer Therapie wirft viele juristische Fragen auf – für Behandelnde, aber auch für die Patienten und Patientinnen. Wie eine Therapie ohne nachgewiesenen therapeutischen Wirkstoff rechtlich sicher und ethisch verantwortlich ablaufen kann, hat die Rechtswissenschaftlerin Dr. Annabelle Wolf im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Universität Münster untersucht. Die Veröffentlichung ihrer Dissertation mit dem Titel „Placebos und Behandlungsvertrag – Rechtliche Rahmenbedingungen für den therapeutischen Einsatz von Placebos“ wurde gefördert durch den Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ (SFB/TRR 289).

Hier erläutert Dr. Wolf die wichtigsten Fragen und Aspekte, welche sich für Patientinnen und Patienten bei der Anwendung von Placebos ergeben.

Mir wird eine Placebo-Behandlung angeboten. Was sind die wichtigsten Fragen für mich als Patientin oder Patient?

Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten über alle wesentlichen Umstände der Placebo-Therapie aufzuklären und auf alle Fragen wahrheitsgemäß und verständlich zu antworten. Dabei sollte der Patient auf die folgenden Punkte achten:

  • Placebos können zur Symptomlinderung, nicht jedoch für eine ganzheitliche Heilung eingesetzt werden. Daher sollte sichergestellt sein, dass die Placebo-Therapie eine geeignete Maßnahme zur Erreichung des gewünschten Behandlungsziels ist.
  • Während der Aufklärung müssen auch die Risiken der Therapie thematisiert werden. Aufgrund ihrer Wirkstofflosigkeit besitzen Placebos ein geringes Risiko von Nebenwirkungen. Das größte Risiko entsteht allerdings dadurch, dass dem Patienten durch die Wahl einer Placebo-Therapie eine notwendige Verum-Therapie, das heißt eine wirkstoffhaltige Behandlung, vorenthalten wird. Die Placebo-Therapie muss daher sorgfältig gegenüber möglichen Behandlungsalternativen abgewogen werden.
  • Schließlich muss der Patient auch über wirtschaftliche Fragen wie die Kostenübernahme durch die Krankenkasse aufgeklärt werden.

Ist dafür meine Zustimmung nötig?

Ja, für jede medizinische Maßnahme, einschließlich der Placebo-Behandlung, ist grundsätzlich die wirksame Einwilligung der Patientin erforderlich. Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn die Patientin zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Das ist der sogenannte „informed consent“.

Kann ich eine Placebo-Behandlung ablehnen?

Ja, das kann jeder Patient aufgrund des eigenen Selbstbestimmungsrechts. Im Übrigen dürfen Patienten auch – aus ärztlicher Sicht – unvernünftige Entscheidungen treffen.

Ich bekomme eine Placebo-Therapie, ohne dass ich davon etwas weiß. Ist das rechtens?

Nein. Jeder Patient, jede Patientin muss nach Aufklärung über die Therapie in diese einwilligen, weil ansonsten ihr Selbstbestimmungsrecht verletzt wird. Klärt die Ärztin über die Placebo-Gabe auf, wird dadurch aber möglicherweise der Placebo-Effekt zerstört. Das wird als Aufklärungsdilemma der Placebo-Behandlung bezeichnet.

Als mögliche Lösung kommt die sogenannte „antizipierte Rahmeneinwilligung nach Aufklärung“ in Betracht. Das bedeutet: Die Patientin wird frühzeitig wahrheitsgetreu und vollständig aufgeklärt, dass später wahlweise ein Placebo oder ein Verum zum einsatz kommen kann. Die Patientin trifft selbstbestimmt die Entscheidung, der Ärztin darüber einen Entscheidungsspielraum zu gewähren. Im Moment der Verabreichung weiß die Patientin nicht, ob es sich um ein Placebo handelt.

Die antizipierte Rahmeneinwilligung nach Aufklärung ermöglicht, das Aufklärungsdilemma bei Placebo-Behandlungen interessengerecht zu lösen, indem Placebos unter Wahrung des Patientenwohls und -willens in behandlungsvertraglich zulässiger Weise genutzt werden können. Diese Einwilligung kann von der Patientin jederzeit widerrufen werden.

Ist es ok, wenn ich nicht ganz genau weiß, was ich als Therapeutikum bekomme?

Eigentlich nein. Auch subtile Formen der Täuschung sind nicht rechtmäßig. Der Arzt muss über alle für die Einwilligung wesentlichen Umstände informieren, darf nichts beschönigen und nichts dramatisieren. Er muss sicherstellen, dass der Patient alles verstanden hat. Allerdings weiß der Patient auch bei der „antizipierten Rahmeneinwilligung nach Aufklärung" zum Zeitpunkt der Verabreichung nicht, was er bekommt, hat dem Arzt aber zuvor bewusst diesen Entscheidungsspielraum eingeräumt.

Wenn ich gar nicht genau aufgeklärt werden möchte, was alles wie wirkt und was als Nebenwirkung passieren kann, weil mich das verunsichert, darf ich das dann dem Arzt oder der Ärztin sagen?

Ja, das Selbstbestimmungsrecht garantiert nicht nur das Recht auf Aufklärung, sondern auch auf Nichtwissen. Ein Verzicht auf Aufklärung muss deutlich, klar und unmissverständlich geäußert werden. Dem sollte ein großes Vertrauensverhältnis zugrunde liegen.

Der Arzt darf den Patienten nicht zum Aufklärungsverzicht drängen. Außerdem kann der Patient den Verzicht auf Aufklärung formlos und ohne Nennung von Gründen widerrufen.

Inweitweit darf ich über die Behandlung mitentscheiden?

Natürlich darf ich in hohem Maße mitentscheiden und sollte dies auch tun. In den letzten Jahren hat das sogenannte „shared decision making", also das partnerschaftliche Entscheiden über eine Therapie, immer stärker an Bedeutung gewonnen. Das Selbstbestimmungsrecht über die eigene körperliche Integrität ist grundrechtlich garantiert und hat im Behandlungsvertragsrecht einen herausragenden Stellenwert.

Portrait Dr. Annabelle Wolf

Welche rechtlichen Implikationen bringt der Einsatz von Placebos in der Therapie mit sich? Diese Frage behandelt die Juristin Dr. Annabelle Wolf in ihrer Dissertation mit dem Titel „Placebos und Behandlungsvertrag – Rechtliche Rahmenbedingungen für den therapeutischen Einsatz von Placebos“.

Die Zusammenfassung der Arbeit kann hier heruntergeladen werden. Die komplette, 400-seitige Dissertation steht auf mohrsiebeck.com zum Download bereit.