Interview mit Prof. Ben Colagiuri, Professor für Psychologie an der School of Psychology der Universität von Sydney, Australien

Welche Gefahren sehen Sie bei der öffentlichen Gesundheitskommunikation durch unterschiedliche Medien?

Wir wissen, dass es noch niemals zuvor so viele Informationen über Gesundheitsthemen online gab. Während sich früher die Menschen auf die Informationen der Experten verließen, haben wir jetzt eine Menge Leute, die ihre eigenen Erfahrungen im Netz kundtun. Es existieren sehr viele Inhalte mit fehlerhaften Informationen, z.B. über die unterschiedlichen Behandlungen. Die große Gefahr in der Gesundheitskommunikation sehe ich in der sozialen Verbreitung von sogenannten Informationen über mögliche Nebenwirkungen. Wir wissen, dass negative Nachrichten eine größere Aufmerksamkeit erhalten als positive. Das ist ein Problem.

Ist es ein Unterschied, ob ich konkret Informationen im Internet recherchiere, die ich vielleicht beim Gespräch mit dem Arzt nicht verstanden habe, oder ob ich in den sozialen Netzwerken wie Instagram quasi überrollt werde von Posts über mögliche Nebenwirkungen eines Medikaments?

Solange wir aktive User sind und entscheiden, welchen Inhalt wir uns ansehen oder -hören wollen oder was wir für seriös halten, ist das gut. Aber in den sozialen Medien bestimmt der Algorithmus, was ich zu sehen bekomme. Nicht ich entscheide. Es posten Menschen mit unterschiedlichen Intentionen und unterschiedlichem Kenntnisstand Informationen. Das sind vor allem persönliche Erfahrungen. Die meisten, und dazu zähle ich auch viele ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen, können zum Beispiel Zahlen nicht perfekt interpretieren. Wenn wir also eine Information über ein Risiko für eine bestimmte mögliche Nebenwirkung erhalten, hört sich das relativ langweilig an, wie „30 Prozent könnten dies oder jenes bekommen“. Da sind wir mathematisch mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung oft schon überfordert. Was soll man da erwarten? Wenn wir aber einen persönlichen Bericht lesen über eine Person, die eindrücklich berichtet, was sie erlebt hat, dann beeindruckt uns das mehr. Mehr als die neutrale Zahl. Aber eine persönliche Schilderung ist keine wissenschaftliche Aussage.

Wie kann man sich vor der Beeinflussung durch soziale Medien schützen? Was ist Ihr Ratschlag?

Bildung und Wissen sind die entscheidenden Faktoren. Wir sollten über diese Zusammenhänge Bescheid wissen. Und wir sollten mehr auf unsere eigenen persönlichen Erfahrungen vertrauen. Bedenken Sie: Wenn jemand eine schlechte Erfahrung in einem Restaurant gemacht hat, ist sein Bedürfnis viel größer, darüber eine negative Rezension zu schreiben und das Restaurant schlecht zu bewerten, als jemand, der eine positive Erfahrung gemacht hat. Genauso ist es auch im Gesundheitsbereich mit Nebenwirkungen. Man sollte verstehen, wie die Inhalte in den sozialen Netzwerken zustande kommen.

Wir leben, bezogen auf die sozialen Medien, wie in einer Blase. Je mehr wir von einem bestimmten Thema angeklickt oder geliked haben, desto mehr wird uns von diesem zugespielt. So schließt sich die Blase, wie wir informiert werden, immer mehr. Was können denn ExpertInnen tun, um dieses Schema zu durchbrechen?

Sie stellen wirklich schwierige Fragen! Wir wissen aus der kognitiven Psychologie und Forschung, dass Versuche, diese Blase zu zerstören, nach hinten losgehen können. Wir wissen, wenn wir Menschen dazu bringen wollen, ihre Überzeugungen zu ändern, dann motiviert sie dies oft noch mehr, bestätigende Informationen für ihre persönliche Überzeugung zu suchen. Um es klar zu sagen, wir wissen nicht, was das Beste ist und was wir tun können.

Wenn wir eine Skala von 0 bis 10 haben, welche Macht würden Sie den sozialen Medien in der Gesundheitskommunikation zusprechen?

Das wäre Spekulation. Auf jeden Fall eine große. Aber das dürfte auch eine Frage der Demografie und der Generationen sein. Ich hatte kein Handy in der Schule – nur ein Beispiel – und habe sicher in meiner Jugend noch eine stabile Beziehung zu meiner realen Umwelt und vertrauensvollen, sicheren Informationsquellen aufgebaut. Das kann der heutigen Jugend nur noch schwer gelingen. Meine Neffen bekommen alle zwei Sekunden ein TikTok-Video zugespielt.

Wie könnten denn ÄrztInnen und ForscherInnen die sozialen Medien selbst besser nutzen?

Das ist die Aufgabe. Wenn wir als ExpertInnen negative Posts sehen – und wir sollten das wirklich beobachten –, sollten wir dagegenhalten und selbst Studien veröffentlichen wie „Diese oder jene Studie hat gezeigt, dass ...“. Wir müssen aktiv sein und dürfen uns nicht in unserer Wissenschaftskammer einschließen. Natürlich brauchen wir auch mehr Bildung über diese Mechanismen in den Schulen. Ich habe leider keine guten Lösungen. Das ist auf jeden Fall eine gesellschaftliche Aufgabe.

Das Gespräch führte Gaby Miketta vom Public-Outreach-Team des SFB/TRR 289 am 10. Mai während der SIPS-Konferenz im Landschaftspark Duisburg-Nord.