Die Behandlungserwartungen von Patienten und Patientinnen beeinflussen den Erfolg einer Therapie: Positive Erwartungen erhöhen die Chancen, dass eine Therapie gelingt; negative Erwartungen hingegen können den Erfolg mindern und erhöhen das Risiko von Nebenwirkungen. Im aktuellen Journal of the American Medical Association (JAMA) stellen Prof. Meike Shedden Mora, Prof. Winfried Rief und Prof. Johannes Laferton vier evidenz-basierte Kommunikationsstrategien vor, mit denen Behandelnde die positiven Erwartungseffekte konkret fördern können.
Für ihre praxisbezogenen Vorschläge haben die Psychologen Prof. Meike Shedden Mora (Medical School Hamburg), Prof. Winfried Rief (Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Marburg) und Prof. Johannes Laferton (Health and Medical University, Potsdam) die entscheidenden Faktoren aus unterschiedlichen Studien über Placeboeffekte extrahiert. Eine wesentliche Grundlage dafür sind Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 289 „Treatment Expectation“, in dem Shedden Mora und Rief als Principle Investigators wesentliche Teilprojekte leiten.
Ihre vier Strategien, welche die drei Forschenden in der Reihe "JAMA Insights" erläutern, richten sich an alle Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind. Ziel ist es, durch eine verbesserte, an den Behandlungserwartungen der Betroffenen ausgerichteten Kommunikation die Chancen einer Therapie zu vergrößern und das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen zu verringern:
1. Erfahrungen und Erwartungen der Betroffenen verstehen
Positive und negative Erwartungen, aber auch die Angst vor Nebenwirkungen, können unabhängig voneinander den Behandlungserfolg beeinflussen, wie eine umfangreiche Analyse von sechs Studien mit insgesamt 748 Teilnehmenden zeigt. Auch wenn eine Person sich einen großen Nutzen von der Behandlung verspricht, kann sie gleichzeitig besorgt sein, unangenehme Nebenwirkungen zu erfahren. Daher sollten Behandelnde ihre Patienten und Patientinnen gezielt befragen nach
- Vorerfahrungen: „Erzählen Sie mir, wie ist es Ihnen mit Ihren bisherigen Behandlungen ergangen?“
- Erwartungen: „Was glauben Sie, wie sehr wird ihnen die Behandlung helfen?"
- Befürchtungen: „Haben Sie Angst vor Nebenwirkungen?"
„Wir ermutigen jeden, der im Kontakt mit Patienten ist, diese Fragen zu stellen, denn nur so können eine individuelle Therapie und unterstützende Kommunikation zugeschnitten auf die persönlichen Ängste und Bedürfnisse erfolgversprechend eingesetzt werden“, rät die Psychologin und Psychotherapeutin Prof. Shedden Mora.
2. Die Arzt-Patienten-Beziehung stärken
Wenn Ärzte und Ärztinnen gegenüber ihren Patienten Kompetenz zeigen und sich empathisch verhalten, dann beeinflusst dies den Behandlungserfolg. Nonverbale Signale wie Augenkontakt oder ein bestätigendes Nicken sowie eine gut strukturierte und verständliche Kommunikation schaffen Vertrauen:
„Wenn Sie sich Sorgen um Nebenwirkungen machen, lassen Sie uns gemeinsam überlegen, was wir bei auftretenden Nebenwirkungen tun können.“
Eine Studie mit 262 Patienten mit Reizdarmsyndrom konnte zeigen, dass deutlich mehr Patientinnen und Patienten von einer (Placebo-)Akupunktur-Behandlung profitierten, wenn ihr Arzt Wärme und Empathie ausstrahlte, als wenn der Kontakt eher sachlich-distanziert gestaltet war.
„Offene Fragen stellen, zuhören und seine eigene Erfahrung als Arzt betonen können ein wichtiger Faktor beim Therapieerfolg sein. Jeder Arzt und jede Ärztin sowie jeder Psycho- oder Physiotherapeut sollten sich der Wirkung ihrer Kommunikation bewusst sein“, betont der Psychologe und Psychotherapeut Prof. Winfried Rief.
3. Positive Erwartungen gezielt fördern
Jeder Patient und jede Patientin hat Erwartungen an eine bevorstehende Behandlung. Positive Erwartungen können dabei die Erfolgschancen der Therapie steigern, negative können sie mindern. Um positive Annahmen und eine zuversichtliche Perspektive bei den Betroffenen zu unterstützen, können Behandelnde realistisch die persönlichen Ziele der Person bestärken:
„Nach der Operation möchten Sie wieder mit Ihrer Familie Bergwandern. Ich bin zuversichtlich, dass Sie in den ersten sechs Wochen schon kurze Spaziergänge unternehmen und nach drei Monaten bereits wieder moderate Wanderungen bewältigen können.“
Dass ein persönlicher Genesungsfahrplan die Genesung fördert, zeigen Studien an Personen mit Herzoperationen und operativen Eingriffen im Bauchraum. Sie konnten nach Eingriffen am Herzen dadurch bis zu 4,5 Tage früher aus dem Krankenhaus entlassen werden, und sie nahmen nach Bauch-OPs etwa fünf Tage früher ihre normalen Alltagsaktivitäten wieder auf. „Beim Entwickeln solch eines Genesungsfahrplans mit Hilfe einer psychologischen Intervention ist es wichtig, dass die Ziele realistisch sind und eine persönliche Bedeutung haben, zum Beispiel nach der Bypass-Operation wieder mit dem Hund Gassi gehen können“, bestätigt der Psychologe und Psychotherapeut Prof. Johannes Laferton.
4. Angst vor Nebenwirkungen effektiv mindern
Es ist gut belegt, dass Patienten und Patientinnen das Risiko von unerwünschten Nebenwirkungen oft überbewerten, den Nutzen einer Therapie hingegen aber unterschätzen. Wie medizinisches Personal mögliche Nebenwirkungen erklärt, beeinflusst entscheidend die Häufigkeit von Nebenwirkungen. Die ausgewogene Aufklärung in einem positiven Rahmen, wo auch der Nutzen betont und erläutert wird, reduziert die Belastung durch Nebenwirkungen.
So berichten in einer klinischen Studie Personen, die Methotrexat für ihr entzündliches Rheuma erhielten, deutlich weniger Nebenwirkungen, wenn ihnen mögliche Nebenwirkungen als positives Zeichen erklärt wurden, dass das Medikament im Körper wirkt. Patientinnen und Patienten, die eine solche positive Erklärung für Nebenwirkungen erhielten, brachen die Behandlung deutlich seltener ab.
Fazit
„Dass JAMA diese Erkenntnisse und Ratschläge veröffentlicht, freut uns sehr, da wir als Forschungsverbund schon seit vielen Jahren substantiell zu der Evidenz dieser Effekte beitragen", sagt Prof. Ulrike Bingel, Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“. „Die positive Bedeutung von Kommunikation im therapeutischen Bereich aller Disziplinen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gleichzeitig werden wir noch viele Erkenntnisse gewinnen müssen, die es uns erlauben, personalisiert, kontextspezifisch und flächendeckend in der Praxis die Erwartungseffekte zum Wohl der Patienten zu nutzen“, so Bingel. Sie ist Neurologin und Leiterin der Schmerzmedizin an der Universitätsklinik Essen und forscht seit Jahrzehnten intensiv im Bereich Placebo- und Noceboeffekte in der Medizin.
Originalarbeit:
Laferton JAC, Rief W, Shedden-Mora M. Improving Patients’ Treatment Expectations. JAMA. Published online June 04, 2025. doi:10.1001/jama.2025.6261
https://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2834861