PD Dr. Julian Kleine-Borgmann und PD Dr. Katharina Schmidt

Können offen deklarierte Placebos (OLP) Patienten und Patientinnen bei der Migräneprophylaxe helfen? Diese Frage hat ein Forschungsteam um Prof. Ulrike Bingel am Universitätsklinikum Essen in einer Studie untersucht. Das Ergebnis: OLP reduzieren zwar nicht die Anzahl der Kopfschmerztage, aber sie können die Migränebehandlung sinnvoll ergänzen und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. 

Bis zu 15 Prozent aller Deutschen leiden unter Migräne. Nicht immer lindern die üblichen, erprobten Medikamente zufriedenstellend die Symptomatik. Deshalb wollten Privatdozent Dr. Julian Kleine-Borgmann, Privatdozentin Dr. Katharina Schmidt und Prof. Ulrike Bingel aus dem Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ prüfen, ob so genannte Open Label Placebos, also offen deklarierte Medikamente ohne Wirkstoff, die Migränebehandlung wirksam unterstützen kann. Dafür verabreichten die Forschenden 120 Migränepatienten und -patientinnen in Essen und Frankfurt im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie über drei Monate hinweg OLPs in Kombination mit einer Standardtherapie. Die Ergebnisse der Studie publizierten sie im JAMA Network Open.

OLPs ergänzten in der Studie die Standardtherapie

Die Teilnehmenden wurden durch die Studieninformation und ein erklärendes Video über die Natur der wirkstofffreien Tablette aufgeklärt. Eine Gruppe nahm daraufhin zweimal am Tag über einen Zeitraum von drei Monaten ein Placebo zusätzlich zur regulären Standardtherapie ein. Die Kontrollgruppe hingegen erhielt nur die Standardtherapie ohne OLPs.

Zu sechs unterschiedlichen Zeitpunkten wurden die Teilnehmenden am Zentrum für Schmerzmedizin der Universitätsklinik Essen und am Kopfschmerzzentrum Frankfurt befragt oder untersucht. Die Studie im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“ (SFB 289) sollte prüfen, ob sich offen deklarierte Placebos als Zusatztherapie günstig auf die Häufigkeit von Migräneattacken, die Schmerzintensität und weitere wichtige klinische Endpunkte auswirken.

Relevante Verbesserungen der Lebensqualität

Zwischen der OLP-Gruppe und der Kontrollgruppe zeigten sich in der Gruppe keine signifikanten Unterschiede in der Anzahl der Kopfschmerz- und Migränetage. Allerdings war die Add-on-OLP-Behandlung mit relevanten Verbesserungen der schmerzbedingten Beeinträchtigung und der Lebensqualität verbunden. „Das ist ein ermutigendes Ergebnis", urteilt Katharina Schmidt, Psychologin von der Universitätsmedizin Essen: „Insgesamt fühlten sich OLP-behandelte PatientInnen signifikant besser als die PatientInnen in der Kontrollgruppe.“ 

OLPs könnten daher für ausgewählte Patienten und Patientinnen eine nützliche Erweiterung der Standardtherapie sein, um den Behandlungserfolg einer Migräneprävention zu optimieren. „Offen gegebene Placebos sind im Vergleich zum traditionellen Verständnis von Placebos ethisch unbedenklich, wurden von den teilnehmenden PatientInnen gut vertragen und haben daher das Potenzial, die positive Wirkung des Placebo-Effekts in der Behandlung der Migräne tatsächlich nutzbar zu machen“, erklärt Julian Kleine-Borgmann. Die Sprecherin des SFB „Treatment Expectation“ und Leiterin der Universitären Schmerzmedizin der Universitätsmedizin Essen, Ulrike Bingel, bestätigt: „Eine als unwirksam beschriebene Pille zu nehmen, kann dennoch positive Reaktionen auslösen, Selbstregulationsprozesse aktivieren und positive Erwartungen stärken. Diese Mechanismen könnten die wahrgenommene Beeinträchtigung durch Migräne im Alltag reduzieren, ohne notwendigerweise die Frequenz der Attacken zu verändern.“

Mehr Forschung nötig, um Therapieergebnisse positiv zu beeinflussen

Zukünftig sollen die neuronalen und psychologischen Mechanismen, die diesen positiven klinischen Effekten zugrunde liegen, weiter untersucht werden. Welchen Einfluss haben persönliche Faktoren, wie Optimismus, Angst oder Stress? Welche PatientInnen profitieren am wahrscheinlichsten von OLPs? Und wie könnte man den Einfluss einer positiven Erwartung gegebenenfalls auch ohne OLPs induzieren und aufrechterhalten?

„Die Studie skizziert einen möglichen Weg, wie der Placeboeffekt die Goldstandardtherapie bei chronischen und episodischen Schmerzerkrankungen, wie der Migräne, ergänzen könnte. Bis dahin gilt es aber, die noch offenen Fragen in weiteren Untersuchungen zu klären“, resümiert Kleine-Borgmann.