Bauchschmerzen sind oft diffus und schwer lokalisierbar. Deshalb erleben Betroffene sie häufig als besonders bedrohlich. Wie eine aktuelle Studie aus dem Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ zeigt, nehmen solche sogenannten viszeralen Schmerzen tatsächlich eine biologische Sonderstellung ein: Mit einem experimentellen Ansatz konnte ein Forschungsteam um Prof. Sigrid Elsenbruch von der Universitätsmedizin Essen zeigen, dass innere Schmerzen besonders anfällig sind für starke Nocebo-Effekte. Besonders tückisch ist dabei: Auch negative Erfahrungen mit ganz anderen körperlichen Schmerzen können das viszerale Schmerzempfinden negativ prägen.
Dr. Jana Aulenkamp von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Essen kommt daher zu dem Fazit, dass Behandelnde besonders erwartungssensibel kommunizieren sollten, wenn ihre Patienten und Patientinnen über Bauchschmerzen klagen. Publiziert haben die Forschenden ihre Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift PAIN.
Menschen mit viszeralen Schmerzen machen oft negative Therapieerfahrungen
Immer wieder schmerzt der Bauch, der Darm, die Eingeweide. Aber die Ursache ist unklar, und Behandlungen greifen nicht: Viele Menschen mit chronischen, viszeralen Schmerzen haben negative Diagnose- und Therapieerfahrungen gemacht. Die Betroffenen sind oft frustriert – gerade auch von der Kommunikation mit Ärzten und Ärztinnen. Solche Enttäuschungen jedoch setzen sich bei chronischen, schmerzhaften, therapieresistenten Beschwerden wie viszeralen Schmerzen oder auch beim Reizdarmsyndrom oft als negative Erwartung fest, was Nocebo-Effekte begünstigt.
Wie Behandlungserwartungen Bauchschmerzen und den Erfolg von Therapien beeinflussen, erforscht die Psychologie-Professorin Sigrid Elsenbruch, Projektleiterin im Sonderforschungsbereich (SFB 289) „Treatment Expectation“ an der Universitätsmedizin Essen und Leiterin der Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Ruhr-Universität Bochum. Für die aktuelle Studie hat sie mit ihrem Team an 101 gesunden Freiwilligen untersucht, wie Signale aus dem Darm und darauffolgender viszeraler Schmerz im Vergleich zu somatischen Hitzeschmerzen auf der Haut wahrgenommen werden. In einem komplexen Studiendesign, das an die klinische Realität angelehnt war, förderte das Team negative Erwartungen bei den Teilnehmenden und untersuchte deren Wirkung auf die Schmerzwahrnehmung. Vorerfahrungen mit Schmerzen waren der zweite Aspekt, der als Einflussfaktor getestet wurde. Dies ist die erste experimentelle Studie, die Nocebo-Effekte auf das Erleben von Schmerzen aus dem Körperinneren und an der Körperoberfläche und deren gegenseitige Beeinflussung geprüft hat.
Das Ergebnis hat weitreichende Auswirkungen
Die klinische Wissenschaftlerin Dr. med. Jana Aulenkamp, Erstautorin der Studie, fasst das Ergebnis zusammen: „Nocebo-Effekte sind bei Schmerzen aus dem Körperinneren deutlich ausgeprägter, und sie können durch Kommunikation, aber auch durch somatische Schmerzerfahrungen von der Körperoberfläche verstärkt werden.“ Diese Befunde bei Gesunden haben für Betroffene mit chronischen Schmerzen besonders weitreichende Implikationen, da sie häufig weitere Beschwerden aus unterschiedlichen Körperbereichen haben.
„So ist es zum Beispiel denkbar, dass eine andere Schmerzerkrankung, wie erlebte Rückenschmerzen, das Schmerzsystem hochreguliert, so dass dann Bauchschmerzen stärker wahrgenommen werden, auch wenn der Rückenschmerz längst vergangen ist“, erklärt Prof. Elsenbruch. Erfahrungen mit anderen, somatischen Schmerzen übertragen sich somit auf den viszeralen Schmerz. Dr. Aulenkamp rät: „Behandle ich Patientinnen und Patienten mit viszeralen Schmerzen, sollte ich mir bewusst sein, dass es Teil der individuellen Schmerzwahrnehmung ist, dass sie stark durch Kognition, Emotion und Erwartung beeinflussbar sind, insbesondere dann, wenn Betroffene unter verschiedenen Schmerzarten leiden.
Große Bedeutung der Darm-Gehirn-Achse
Lange Zeit galten wiederkehrende Unterbauchschmerzen ohne nachweisliche Ursachen als typisch psychosomatische Beschwerden, die primär mit Stress zusammenhängen. Der Zusammenhang von Psyche und Darm ist aber sehr viel komplexer und vor allem keine Einbahnstraße vom Kopf zum Bauch, die alleine durch Stress verändert wird.
Zwischen Gehirn und Eingeweiden besteht eine direkte Verbindung, die sogenannte Darm-Gehirn-Achse. Entlang dieser Achse läuft eine Kommunikation in beide Richtungen. Die Informationen werden als neuronale Signale des zentralen Nervensystems über den Vagusnerv weitergeleitet, aber auch mithilfe von Darmmikroben, Hormonen und Botenstoffen. Reizdarmpatientinnen und -patienten zeigen zum Beispiel eine erhöhte Aufmerksamkeit für viszerale Reize und eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit. Verantwortlich sind die Störungen der Kommunikationswege entlang der Darm-Gehirn-Achse. Am Schmerzerleben und dessen Verarbeitung sind viele kognitive und emotionale Faktoren beteiligt. Stress und Angstgefühle können Nocebo-Effekte verstärken und die Funktionen der Gehirn-Darm-Achse beeinträchtigen.
Gelungene Kommunikation bei viszeralen Schmerzen
Eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation ist eine wichtige Basis, um langfristig die Störung der Gehirn-Darm-Achse zu minimieren und die spürbaren Symptome des viszeralen Schmerzes direkt zu reduzieren. „Durch eine empathische und aufmerksame Zuwendung in der Kommunikation mit Behandelnden sowie durch die Betonung positiver Therapieergebnisse kann zumindest teilweise die Schmerzwahrnehmung quasi überschrieben werden“, erklärt Prof. Elsenbruch. Das Forschungsteam zieht aus der experimentellen Studie das Fazit: Wenn schon bei Gesunden die negative Erwartung bei viszeralem Schmerz viel relevanter ist als bei somatischen Schmerzen, sollte dies in der Klinik unbedingt stärker berücksichtigt werden.
In der Gastroenterologie, Gynäkologie, Bauchchirurgie und Herzchirurgie sollten Behandelnde daher besonders gut kommunikativ geschult sein. „Man sollte in der Klinik wissen, dass Worte auf Patientinnen und Patienten mit viszeralen Schmerzen viel stärker wirken als bei einem verletzten Fuß“, weiß Dr. Aulenkamp.