Interview mit Prof. Christian Büchel, Direktor des Instituts für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Standortsprecher für Hamburg sowie Mitglied des Steering Committee des Sonderforschungsbereichs 289 „Treatment Expectation“.
Mit dem Magnetresonanztomografen kann die Forschergruppe um Prof. Christian Büchel die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn messen. Die vielen Projekte seiner Gruppe liefern neue Erkenntnisse zu Diagnose, Prognose und Therapie neuropsychiatrischer Erkrankungen sowie über Lernprozesse, Ängste, Suchtverhalten, Schmerzwahrnehmung und Placeboeffekte. Psychologische Prozesse lassen sich mit modernen neurobiologischen Methoden wie der funktionellen Kernspintomografie und der Magnetresonanzspektroskopie untersuchen, um z.B. die Mechanismen der Schmerzchronifizierung besser zu verstehen. Im Interview beschreibt Prof. Büchel die positiven wie negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf diese Forschungsaktivitäten.
Frage: Seit März 2020 hat sich mit der Pandemie das Leben der Menschen weltweit völlig geändert. Unser soziales Leben wurde noch nie derart komplett auf den Kopf gestellt, viele hatten und haben Ängste. Wie hat dies alles die Forschung und den Wissenschaftsbetrieb beeinflusst?
Prof. Büchel: Das Erste ist: Es gibt positive Aspekte. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir über moderne Videokonferenzen einen Teil unserer Kommunikation sehr sinnvoll bestreiten können. Für einfache Begutachtungen sind wir früher aus vielen Ländern zu Besprechungen geflogen und nach einem Tag wieder zurück. Wir haben gelernt, dass dies sehr gut ohne CO2-Ausstoß zu bewerkstelligen ist. Die Pandemie hat viele gute Kommunikationssysteme hervorgebracht, was sonst nicht so schnell gelungen wäre.
Und die Kehrseite?
Das sind viele negative Aspekte. Wir haben in der praktischen Arbeit erlebt, wie schwierig es war, unsere geplanten Projekte durchzuführen. Hygienekontrollen und Corona-Tests haben unsere Termine und Abläufe durcheinandergeworfen. Viele Patienten, gesunde Kontrollpersonen und Probanden sagten ab, weil ihnen der Aufwand zu hoch schien oder sie positiv getestet wurden. Aber auch Untersucher in den Abteilungen waren mit Covid-19 infiziert. Der Workflow in der Pandemie war sehr verlangsamt und im Lockdown gar nicht möglich.
Welche Konsequenzen hatte das?
Problematisch war und ist es vor allem für viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die auf befristeten Stellen arbeiten. Wenn man als PhD zwei Jahre nicht oder nur begrenzt die Datenerhebung leisten kann, hält man den üblichen Zeitplan der Promotion nicht ein. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass hier zum Teil die Geldgeber unkompliziert Verlängerungen bereitgestellt haben. Einige sind auf Online-Experimente ausgewichen, aber das waren oft nur Notlösungen. Beim Thema Schmerz leuchtet es sofort ein, dass man Probanden nicht bitten kann, sich zu Hause selbst einen Schmerzreiz zuzufügen. Ein zweiter Punkt ist: Wir waren fast zu hundert Prozent eingeschränkt in der Forschungskommunikation. Wir haben keine Konferenzen abgehalten, stattdessen saßen wir im Büro oder zu Hause und haben Folien um Folien angeschaut, aber das Diskutieren mit den Rednern und Kollegen, die soziale Interaktion auf Konferenzen war weggefallen. Das konnten und können die virtuellen Formate nicht ersetzen. Kreative Ideen entstehen auf diese Weise selten. Das Mindset auf internationalen Konferenzen hat wirklich gefehlt.
Wie sieht es denn aktuell aus?
Das normalisiert sich richtig gut! Im Frühjahr war ich in Holland. Da konnte man sehen, wie eine große Freude durch den Saal ging. Wir haben auch hier in Hamburg im Institut begonnen, Projektpräsentationen wieder in Präsenz abzuhalten. Eine kurze Umfrage hat gezeigt, dass die Hälfte der jungen DoktorandInnen das noch nie erlebt und viele Kollegen sich noch nie getroffen hatten. Dabei ist genau das so wichtig, um sich ein Netzwerk aufzubauen. Die jungen Wissenschaftler, vor allem die, die im Herbst 2019 gestartet sind, hat die Pandemie deshalb besonders belastet. Zwei verlorene Jahre sind schwer auszugleichen. Ältere Wissenschaftler haben bereits ein gutes Netzwerk, man kennt sich, da kann man auch digital einigermaßen gut kommunizieren.
Welchen Einfluss hat die Pandemie denn auf Patienten und Probanden? Gerade bei Ihrer Forschung geht es um Ängste und Erwartungen. Da hat sich doch in der Zeit der Pandemie auch viel verändert.
Ja sicher, das ist ein Thema. Die Menschen haben die Pandemie mit allen Auswirkungen sicher individuell sehr unterschiedlich verarbeitet, aber es ist zu vermuten, dass das Angstniveau insgesamt gestiegen ist. Und jetzt erleben wir den Ukraine-Krieg, die Inflation, steigende Energiekosten. Wir wissen z.B., dass das Schmerzempfinden bei Patienten mit chronischen Schmerzen angestiegen ist. Diese Patienten haben auch andere Grunderkrankungen, was sie zu Covid-Risikopatienten macht. Es sind Diabetiker und Rheumatiker, und Ängste, dass sich die gesundheitliche Situation weiter verschlechtert, sind natürlich häufig.
Ist es denn jetzt wieder einfacher, genügend PatientInnen und gesunde ProbandInnen für Studien zu aktivieren?
Ja, ich meine, da haben wir wieder Normalität erreicht. Im Frühjahr 2022 war das große Problem der Rückstau an Experimenten. Als der Betrieb wieder aufgenommen wurde, gab es durchaus Diskussionen, wer jetzt unser MRT zuerst benutzen darf. Das Gerät ist quasi sieben Tage die Woche 24 Stunden gelaufen. Das hat sich erst über den Sommer normalisiert. Ich bin in Bezug auf die Pandemie optimistisch für den Herbst und Winter, dass wir nicht wieder zu den Einschränkungen der vergangenen zwei Jahre zurückkehren müssen.
Wie hat sich denn die Zeit der Pandemie auf die Mitarbeiter ausgewirkt?
Es gibt Kollegen, die sich in die Isolation begeben haben. Das hängt natürlich von der Persönlichkeitsstruktur ab. Wie in vielen Firmen müssen auch wir nun versuchen, sie zurück in die soziale Forschergemeinschaft zu integrieren. Die Sachen, die man nebenbei auch am Kaffeeautomaten mitbekommt, dieser wichtige informelle Informationsaustausch, geht im Homeoffice nicht. Hier sollten wir auch über Pflichtveranstaltungen versuchen, Anknüpfungspunkte zu finden. Das ist im Übrigen in anderen Ländern ebenso. Corona betrifft schließlich die ganze Welt. In England z.B. waren Labore lange Zeit ganz geschlossen. Der Frust war also bei allen gleich. Aber jetzt schauen wir optimistisch nach vorn.