Interview mit Heike Norda, der Vorsitzenden der unabhängigen Vereinigung aktiver Schmerzpatienten in Deutschland SchmerzLOS e.V. in Neumünster
Seit vielen Jahren engagiert sich Heike Norda, selbst seit 1982 nach einem Fahrradunfall und einigen Operationen sowie Aufenthalten in Kliniken als Schmerzpatientin betroffen, in der PatientInnenselbsthilfe.
Erinnern Sie sich an die Anfänge Ihres Engagements?
Sehr gut. Ende der 1990er-Jahre habe ich in einer Schmerzklinik selbst gelernt, dass auch ich dazu beitragen kann, mit den Schmerzen zurechtzukommen. Bei mir wurde bei einer der Operationen am Knie ein Nerv verletzt, was zu starken Nervenschmerzen führte, aber ich wollte einfach positiv bleiben, trotz der Schmerzen. Dann hatte ich in einer Selbsthilfegruppe, die in einer Schmerzklinik einen kleinen Aushang gemacht hatte, mein Aha-Erlebnis. Ich traf eine Frau, die ganz ähnliche Probleme hatte. Sie erzählte, dass auch bei ihr die Kollegen mit der Zeit immer ungehaltener wurden, wenn sie sich krankmelden musste. Es tat so gut, von Betroffener zu Betroffener zu reden. Es war nur logisch, dass ich dann, wieder zu Hause in Neumünster, eine Selbsthilfegruppe gegründet habe. Ich habe im Laufe der Jahre so viele wertvolle Menschen getroffen. Das hilft mir ungemein und gibt mir Halt. Einer ist bei uns für den anderen da. Wir geben bei unseren Treffen keine Ratschläge und Empfehlungen, aber gelegentlich laden wir Experten ein, die zum Thema Arzt-Patienten-Verhältnis sprechen oder auch neue Medikamente erklären. Das ist ein guter Wissensaustausch.
Was erwarten Sie von ExpertInnen?
Wir wünschen uns sehr, dass Patienten ernst genommen werden, denn wir spüren es genau, wenn Ärzte, Ärztinnen und Therapeuten vorurteilsfrei an die Patienten und ihre Geschichte herangehen. Unser Wunsch ist es, dass unsere eigenen Wünsche mitberücksichtigt werden. Zum Beispiel werden in Schmerzkliniken viele unterschiedliche Sportaktivitäten angeboten, aber es wäre schön, wenn Patienten gefragt würden, was sie möchten oder auch nicht. Wir wissen oft genau, was uns guttut. Je individueller die Behandlungsziele besprochen werden, desto besser. Ein weiteres Problem ist, dass man gegenüber Betroffenen auch ganz offen und ehrlich realistische wie unrealistische Ziele bespricht. Man geht auch nach der besten Therapie nicht hundertprozentig schmerzfrei nach Hause. Das müssen Patienten wissen. Kommunikation ist der Schlüssel zum beiderseitigen Verständnis.
Was raten Sie PatientInnen?
Wir sollten sehr ehrlich sein. Ich kann nicht sofort einem neuen Arzt vertrauen, und das muss ich auch sagen dürfen. Auch was man sich wünscht. Und im Sinne einer transparenten Kommunikation wünsche ich mir zum Beispiel, dass ich unaufgefordert den Arztbrief auch bekomme, nicht nur mein Hausarzt. Auch wir sollten ehrlich sein, Fragen stellen und einem neuen Arzt offen gegenübertreten. Patienten sollten sich auf den Arztbesuch vorbereiten. Das ist ganz wichtig, denn Ärzte haben häufig wenig Zeit. Man kann also nicht lange herumschwafeln, sondern sollte sich vorab eine Liste mit den wichtigsten Punkten machen. Das spart allen Zeit. Als Patient muss man auch Verständnis für den Arzt haben. Man sollte zum Beispiel gleich bei der Anmeldung sagen, dass es vielleicht länger dauern wird, und um einen etwas längeren Termin bitten.
Welche Probleme wirft denn die Informationsflut z.B. im Internet auf?
Jeder googelt seine Symptome, seine Krankheit und verschiedene Therapien, aber ich rate immer: Schaut ins Impressum! Es tummeln sich im Internet und in Foren viele Firmen, die ganz andere Interessen haben, das aber gut verbergen. Wenn ich persönlich etwas nicht verstehe, frage ich den Arzt meines Vertrauens.
Am besten wäre es, wenn Ärzte zusammen mit Selbsthilfegruppen Listen erstellen würden, welche Webseiten gut sind. Auch die Patienten-Foren sind ein Problem, denn Foren sind keinesfalls Online-Selbsthilfegruppen. Wir hatten in unserer Selbsthilfevereinigung auch früher ein Forum, aber da wurde auch Unseriöses publiziert, und deshalb machen wir das nicht mehr. Da kann ja jeder alles kundtun! Identitäten kennt man nicht und auch nicht deren Interessen. Ich habe noch ein wichtiges Anliegen: 10 % unserer Bevölkerung in Deutschland sind funktionale Analphabeten und verstehen oft auch Webseiten nicht.
Man müsste auf Youtube gute Videos empfehlen, die einfach verständlich sind, auch für Menschen, die sich in unserer Sprache nicht immer sicher fühlen. Ärzte denken oft: Viel Text ist gut. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass dieser Ansatz nur bedingt funktioniert.
Wie ist denn Ihrer Meinung nach die Versorgung mit Schmerztherapeuten?
Schlecht, denn zum Beispiel gibt es oft keine Nachfolge, wenn ein Arzt in den Ruhestand geht. Zumindest kann ich das für die Situation hier in Schleswig-Holstein sagen.
Die Kassenärztliche Vereinigung bemüht sich zwar – es besteht ja auch ein Schlüssel für die Versorgung, aber es gibt eben nicht genügend Therapeuten. Man müsste bei den jungen Ärzten ansetzen und die Erlangung der Zusatzqualifikation „Spezielle Schmerztherapie“ vereinfachen. Sie sind schon Facharzt, dann kommt noch eine umfangreiche Zusatzausbildung hinzu – das ist oft ein Hemmschuh. Da bräuchte man einfach auch mehr Geld, um Anreize zu schaffen. Es ist schrecklich zu sehen, wie lang die Wartezeiten sind, obwohl alle Experten sagen, dass der akute Schmerz nicht zu einem chronischen werden darf. Da kann man doch nicht Monate warten!
Wie groß ist denn die Bereitschaft unter den PatientInnen, an wissenschaftlichen Studien teilzunehmen – Grundlagenforschung ebenso wie klinischen Studien?
Einige Mitglieder sind genervt, weil häufig zu viele Anfragen kommen. Da müsste ein Anreiz geschaffen werden. Ein Gutschein oder etwas Ähnliches. Das würde helfen. Manchmal ist das Anliegen auch nicht gut erklärt. Da kommt ein Brief: „Ich bräuchte dies oder jenes von Ihnen“, aber dann hört man nie wieder davon. Aber wir würden als Selbsthilfevereinigung gerne auch Ergebnisse der Forscher veröffentlichen. Vielleicht könnte man Studien auch gemeinsam mit uns als Selbsthilfegruppe kreieren. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass Patienten sich gerne als Teil der Forschung empfinden wollen. Und auch hier ist Transparenz ganz wichtig. Ich möchte schon wissen, warum und mit welchem Ziel geforscht wird, wenn ich daran teilnehmen soll.
Weitere Informationen unter https://www.uvsd-schmerzlos.de/