Forschungsverbund

Sonderforschungsbereiche sind langfristige, auf die Dauer von bis zu zwölf Jahren angelegte Forschungseinrichtungen der Hochschulen, in denen WissenschaftlerInnen im Rahmen eines fächerübergreifenden Forschungsprogramms zusammenarbeiten.

Sie ermöglichen die Bearbeitung innovativer, anspruchsvoller, aufwendiger und langfristig konzipierter Forschungsvorhaben durch Koordination und Konzentration von Personen und Ressourcen in den antragstellenden Hochschulen. Damit dienen sie der institutionellen Schwerpunkt- und Strukturbildung. Kooperationen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind ausdrücklich erwünscht. Sonderforschungsbereiche bestehen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Teilprojekte. Die Teilprojekte werden von einzelnen oder von mehreren WissenschaftlerInnen gemeinsam geleitet.

Der Sonderforschungsbereich SFB/TRR 289 wird von der DFG für – wie üblich – zunächst vier Jahre mit rund 12 Millionen Euro gefördert.

Interdisziplinär und translational 

Die Aufgabe des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation" ist es, durch klare Hypothesen, höchst standardisierte experimentelle Versuchsaufbauten – vom Tiermodell bis zur Klinik –, in zwei geeigneten Modellsystemen valide Antworten zu finden: Wie entstehen Erwartungen? Welche Rolle spielen positive oder negative Erwartungshaltungen, wenn Patienten behandelt werden? Fördern oder beeinträchtigen sie den Behandlungserfolg? Und welche Mechanismen in Gehirn und Körper liegen diesen Effekten zu Grunde?

Grundlagenwissenschaftler von der Neurobiologie bis zu den Computerwissenschaften, Psychologen und Mediziner verschiedener Fachrichtungen forschen gemeinsam an drei Standorten. Das ist in Europa eine einzigartige, beispielhafte Struktur. Die unterschiedlichen Projekte sind derart orchestriert, dass sie am Ende gemeinsam die große Frage beantworten: Wie kann die Medizin die Erwartungen der Patienten für eine bessere Behandlung nutzen?

Ein Beispiel soll diesen besonderen translationalen Forschungsansatz verdeutlichen.

Wie beeinflusst Dopamin den Behandlungserfolg?

Unser Gehirn trifft ständig Entscheidungen, die durch Erfahrung beeinflusst sind. Es ist eine regelsuchende Maschine aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen mit schätzungsweise 15 Trillionen Verbindungen, die sich permanent verändert, indem wir beobachten, lernen, denken und uns erinnern. Der dorsolaterale präfrontale Cortex (DLPFC) – ein kleines Areal jeweils seitlich im oberen Stirnlappen –  hat vielfältigste Verbindungen in andere Hirnbereiche. Er steuert unsere Motivation, Erinnerung, Entscheidungen, Erwartungen, unsere Gefühle in sozialen Beziehungen, ob wir skeptisch sind, etwas ablehnen, begehren oder uns wohlfühlen. Damit ist der DLPFC auch eine Schaltstelle des Belohnungssystems.

In diesem neuronalen Funktionsverbund entsteht im Laufe des Lebens unser sehr persönliches ICH und es ist ständigen Umbauten unterworfen. Stress und Depression beeinflussen z. Bsp. dieses System. Einer der wichtigsten Neurotransmitter, der all dies zwischen den Neuronen vermittelt, ist der Botenstoff Dopamin.

Deshalb ist eine der zentralen Forschungsfragen des SFB: Welche Bedeutung hat Dopamin sowie das gesamte dopaminerge Belohnungssystem für die Behandlungserwartung und welche Effekte ergeben sich daraus auf die Wirksamkeit von Medikamenten?

Vom Tiermodell zur Klinik

Das Projekt A09 erforscht im Tiermodell wie das dopaminerge Signalsystem mit Antidepressiva interagiert und deren Wirksamkeit beeinflusst. Untersucht wird dies auf der molekularen und neuronalen Ebene sowie die Effekte auf das Verhalten der Ratten.

A10 konzentriert sich bei Ratten auf die Frage, wie negative Vorerfahrungen die Hirnfunktion beeinflussen und die Entstehung von Nebenwirkungen begünstigen.

A01 macht sichtbar, wie die Gehirne von gesunden Versuchsteilnehmern auf einen kleinen Schmerz mittels einer Hitzestimulation reagieren. Dopamin und das dopaminerge System werden dazu unterschiedlich moduliert. Die Behandlungserwartung variiert in diesem Studiendesign und auch der empfundene Schmerz – sichtbar gemacht durch die funktionelle Magentresonanztomografie.

Bei Projekt A07 steht die Bedeutung des dopaminergen Systems für Erwartungseffekte bei gesunden Versuchspersonen und einer depressiven Stimmung im Zentrum. Hierzu wird dieselbe Modulation des dopaminergen Systems verwendet, wie in A01 und die Aktivität im präfrontalen Kortex mit EEG untersucht.

Projekt A08 untersucht dagegen bei Patienten in einer akuten depressiven Episode wie individuelle Erwartungen die Wirksamkeit eines Antidepressivums beeinflussen. Wie verändert sich die Symptomatik und die Aktivität im präfrontalen Kortex und dem Belohnungssystem bei diesen Patienten?

In den Projekten Z02 und Z03 führen schließlich die Ergebnisse der Teilprojekte zusammen und suchen nach übergeordneten Markern, um Vorhersagen treffen zu können, bei welchen Menschen positive oder negativen Erwartungen bezogen auf eine Erkrankung welche Effekte bei der Behandlung haben.

Die Behandlungserwartung von PatientInnen stellt eine wesentliche Determinante für den Erfolg medizinischer Interventionen dar. Erwartungen können das Auftreten körperlicher Symptome, die Entwicklung und den Verlauf von Erkrankungen, sowie die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Behandlungen beeinflussen. Der Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ (SFB/TRR 289) hat das übergeordnete Ziel, Erkenntnisse für eine systematische Anwendung von Erwartungseffekten im Rahmen von medizinischen Behandlungen zu generieren. Hierzu sollen anhand zweier klinisch relevanter Erkrankungen – Schmerzerkrankungen und affektiver Störungen – sowie mit entsprechenden experimentellen Modellen die psychologischen und neurobiologischen Mechanismen von positiven und negativen Behandlungserwartungen und deren Einfluss auf pharmakologische Behandlungen untersucht werden. Der Ansatz ist hochgradig interdisziplinär und translational geprägt und fokussiert auf übergeordnete Hypothesen, welche gemeinsam in tier- und humanexperimentellen Untersuchungen sowie klinischen Proof-of-Concept Studien getestet werden, um die Mechanismen und Effekte von Behandlungserwartungen allein und vor allem in Kombination mit sog. Goldstandard-Behandlungen zu untersuchen.

Der SFB/TRR 289 verfolgt eine Langzeitperspektive, im Rahmen derer sich der Schwerpunkt von der Charakterisierung der zugrunde liegenden Mechanismen zur systematischen Anwendung von Erwartungseffekten in medizinischen Behandlungssituationen weiter entwickeln soll. In der ersten Förderperiode sollen experimentelle Untersuchungen der Mechanismen von Erwartungseffekten auf körperliche und psychische Symptome bei medizinischen Behandlungen im Vordergrund stehen, wobei ein besonderer Fokus auf der Identifikation von Prädiktoren für interindividuelle Unterschiede liegen soll. Gleichzeitig werden erste klinische Proof-of-Concept-Studien Möglichkeiten der klinischen Anwendung von Erwartungseffekten in PatientInnengruppen mit chronischen Schmerzen oder Depression untersuchen. Das übergeordnete Ziel der zweiten Förderperiode wird in der Erforschung des dynamischen Charakters von Erwartungen liegen. In dieser Förderphase soll untersucht werden, wie Erwartungen sich verändern und wie diese Veränderungen durch individuelle Vorerfahrungen, sowie durch andere kontextuelle und personenbezogene Variablen beeinflusst werden. Weiterhin planen wir die Modellsysteme zu erweitern, so dass auch Mechanismen und Auswirkungen der Behandlungserwartung bei Störungen mit primär objektiven Outcomes (z.B. Autoimmun- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen) untersucht werden.

Schließlich werden diese grundlegenden Arbeiten der ersten und zweiten Förderphasen dazu dienen, in einer dritten Förderperiode systematisch Erwartungen von PatientInnen zu beeinflussen, um im Sinne einer personalisierten Medizin die Wirksamkeit und Verträglichkeit medizinischer Behandlungen zu optimieren. Neben den Implikationen für Behandlungsplanungen versprechen die gewonnenen Erkenntnisse auch relevante Implikationen für die Planung und Auswertung klinischer Studien.