„Fake-Medizin, die schmerzhafte Nebenwirkungen hat, kann effektiver sein als Fake-Medizin, die keine schmerzhaften Nebenwirkungen hat“: Dieses Forschungsergebnis fand die Jury erstaunlich und belustigend genug, um Dr. Lieven Schenk, Dr. Tahmine Fadai und Prof. Christian Büchel aus Projekt A02 des SFB/TRR 289 den "IG-Nobelpreis" für Medizin 2024 zu verleihen. Wie so oft bei dieser nur auf den ersten Blick absurden Auszeichnung steckt dahinter eine wichtige Erkenntnis – mit großen Auswirkungen für Patientinnen und Patienten.

Eine skurrile Zeremonie, ein wertloser Preis: Bei der Verleihung der "IG-Nobelpreise" feiert die Wissenschaftsgemeinde ihre Freiheit. Und sie zeigt, dass Forschung oft auf den ersten Blick zum Lachen sein kann – um auf den zweiten Blick zum Nachdenken anzuregen.

 

"How side effects can improve treatment efficacy: a randomized trial" ist der Titel der Veröffentlichung in der Zeitschrift Brain, die mit dem IG-Nobelpreis "gewürdigt" wurde (zur Publikation). In dem Artikel beschreiben Schenk, Fadai und Büchel ihre Beobachtung, dass es die Wirkung einer medizinischen Behandlung verstärken kann, wenn Menschen leichte Nebenwirkungen spüren.
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Um das zu zeigen, verabreichten die Forschenden Freiwilligen ein Nasenspray, in dem angeblich entweder ein Schmerzmittel oder ein Placebo enthalten war. Anschließend sollten die Versuchsteilnehmenden beurteilen, wie stark ein Hitzereiz an ihrem Arm war. Der Clou dabei: Tatsächlich enthielten alle Nasensprays eine Placebo-Substanz. In einigen Fällen wurde der Hitzereiz jedoch reduziert, um eine Wirkung zu simulieren; und bei manchen Teilnehmenden zusätzlich Capsain ins Spray gemischt, das ein leichtes Brennen in der Nase hervorruft. Das Resultat: Wenn es in der Nase brannte, fühlte sich der Hitzereiz am Arm für die Testpersonen weniger schmerzhaft an – obwohl überhaupt kein Schmerzmittel verabreicht wurde. Es war also die vermeintliche Nebenwirkung, die den Schmerz verringert hatte.

Die Erkenntnisse sind für klinische Studien ein Problem – aber für die Therapie eine Chance

Welche sehr ernsthaften und wichtigen Folgerungen diese Ergebnisse für die Medizin und die klinische Forschung haben, kommentieren Prof. Katja Wiech, Dr. Helena Hartmann und Prof. Ulrike Bingel in derselben Ausgabe der Zeitschrift. Darin erklären sie, dass dieser Effekt für klinische Studien ein Problem ist: Wenn Nebenwirkungen die Wirkung einer Testsubstanz verstärken, lässt sich diese nicht mehr mit einem Placebo ohne Nebenwirkungen vergleichen – und daher nicht mehr korrekt messen.

In der Therapie hingegen könnten spürbare Nebenwirkungen möglicherweise nicht nur eine Last, sondern sogar eine therapeutische Chance sein. Allerdings nur unter gewissen Umständen, schreiben die Wissenschaftlerinnen: So gelte das vermutlich nur für leichte Nebenwirkungen, die von den Personen nicht als bedrohlich wahrgenommen werden. Und auch die individuellen Erwartungen und Vorerfahrungen der Betroffenen spielten dabei sicherlich eine Rolle.

Auf jeden Fall aber geben die Ergebnisse Anlass, Nebenwirkungen neu zu bewerten – und zu untersuchen, ob sie nicht nur experimentell, sondern auch im Rahmen einer Therapie nützlich für Patientinnen und Patienten sein können. Eben ganz im Sinne der "IG-Nobelpreise", die von der US-Zeitschrift „Annals of Improbable Research“ für Forschung verliegen werden, die „erst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregt“. (Hier ist der Link zur diesjährigen Zeremonie.)