Viele Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, profitieren nicht ausreichend von einer Behandlung. Ein Grund dafür könnten schlechte Vorerfahrungen und negative Erwartungen an den Verlauf der Therapie sein, wie eine Studie aus unserem Marburger SFB-Standort in "scientific reports" zeigt.
Forschende aus dem Team von Prof. Winfried Rief befragten 212 Patientinnen und Patienten, die wegen chronischer Schmerzen in pharmako-, physio- und/oder psychotherapeutischer Behandlung waren, nach ihren bisherigen Erfahrungen mit Besserung oder Verschlimmerung und Nebenwirkungen sowie nach ihren Erwartungen an die derzeitige Behandlung. Zudem wurde die jeweilige schmerzbedingte Behinderung erfasst. Aus den Antworten wurde anschließend errechnet, wie frühere Behandlungserfahrungen mit aktuellen Erwartungen zusammenhängen und inwiefern beide mit der schmerzbedingten Behinderung verbunden sind.
Wie nach dem aktuellen Stand der Placeboforschung zu erwarten gewesen war, hingen die Behandlungserwartungen der Teilnehmenden eng mit ihren jeweiligen Vorerfahrungen zusammen: Wer eine Verschlimmerung seiner Symptome erfahren hatte, erwartete eher eine weitere Verschlimmerung, und wer Erfahrungen mit unerwünschten Nebenwirkungen gemacht hatte, sorgte sich vor diesen. Positive Erfahrungen wiederum hingen überwiegend mit positiven Erwartungen zusammen.
Sind negative und positive Erwartungen getrennte Konstrukte?
Das war jedoch für die schmerzbedingte Behinderung anders: Hier hatten positive Erfahrungen und Erwartungen keinen messbaren Einfluss auf den aktuellen Grad der Behinderung. Negative Vorerfahrungen und entsprechend negative aktuelle Therapieerwartungen hingegen hingen auch mit stärkeren Behinderungen zusammen.
Dieser Unterschied ist überraschend und könnte für zukünftige Therapien wichtig sein. Die Autoren und Autorinnen der Studie schlagen vor, negative und positive Erfahrungen als getrennte Konstruktionen zu betrachten und nicht wie bislang meist üblich als gegengesetzte Enden eines kontinuierlichen Spektrums. Es wäre demnach zum Beispiel nicht ausreichend, positive Erwartungen an eine bevorstehende Therapie zu wecken, um deren Erfolgschancen zu erhöhen. Gleichzeitig sollten Behandelnde gezielt auch nach negativen Vorerfahrungen und Erwartungen bei ihren Patienten und Patientinnen suchen, um darauf eingehen zu können.