Kortizes-Podcast
Was sind Placebo- und Nocebo-Effekte? Wie wirken sie? Und welche Rolle spielen sie in der Medizin? Darüber spricht Prof. Ulrike Bingel im Podcast des KORTIZES Instituts für populärwissenschaftlichen Diskurs.
Mit einem Vorurteil über Placebo-Effekte räumt Bingel gleich zu Beginn des Gesprächs auf: "Sie bilden sich das nicht nur ein", sagt sie zu Brigitte Winkelmann vom Kortizes-Team. Placebo-Effekte seien gekoppelt an messbare Veränderung in Gehirn und Körper: "Wir sehen diese Effekte im Immunsystem, im Magen-Darm-Trakt, im Kardiovaskulären System."
Die Grundlage für Placebo-Effekte sind positive Erwartungen. In der Schmerzmedizin, wo diese Effekte bisher am besten untersucht sind, führen die Erwartungen zur Ausschüttung bestimmter Botenstoffe und letztlich zur Aktivierung körpereigener, schmerzmodulierender Systeme. "Kurz gesagt, aktivieren Placebo-Effekte die körpereigene Apotheke", so Bingel: "Da werden Schmerzsignale im Rückenmark gehemmt, es werden Opioide ausgeschüttet, es wird Dopamin ausgeschüttet, und es gibt sogar eine sehr spannende, noch nicht vollständig verstandene Wechselwirkung mit dem Cannabinoid-System."
Viele Menschen erwarten, dass eine Behandlung, die ein bisschen wehtut, besonders wirksam ist
Diese Effekte lassen sich in der Medizin auf vielfältige Weise nutzen. So kann der Rahmen für eine Behandlung einen erheblichen Einfluss auf deren Wirksamkeit haben: Rituale etwa können Erwartungseffekte verstärken. Und sogar Nebenwirkungen müssen nicht ausschließlich negativ sein, wie Ulrike Bingel sagt: "Viele Patientinnen und Patienten erwarten gerade, dass Behandlungen, die man spürt, die vielleicht sogar etwas wehtun, besonders wirksam sind."
Dass in der heutigen Medizin nur wenig Platz ist, um die Macht positiver Erwartungen zu nutzen, bedauert Prof. Bingel. "Wir haben in den letzten 150 Jahren riesige Fortschritte gemacht in der biomedizinischen Forschung und in der Medikamentenentwicklung", sagt die Neurologin. Niemand wolle Errungenschaften wie Antibiotika, Impfungen oder Chemotherapien gegen Krebs mehr missen. Dabei sei jedoch die andere Seite der Behandlung ein bisschen verloren gegangen, die es erlaubt, Erwartungseffekte effektiv zu nutzen: "Diese Seite sollten wir reintegrieren, damit diese wundervollen Behandlungen, die wir mühsam entwickelt haben, auch ihre volle Wirkung entfalten können."
Wie Prof. Bingel mit ihrem Team Erwartungseffekte erforscht, welche aktuellen Erkenntnisse sie dabei gewonnen hat und warum Placebos sogar wirken, wenn sie offen verabreicht werden, hat sie beim KORTIZES-Institut nicht nur im Podcast erklärt, sondern auch in einem ausführlichen Vortrag. Die Links zu beiden Sendungen finden Sie hier:
https://podcast.kortizes.de/augenhoehe-18-placebo-und-noceboforschung/
Ulrike Bingel: "Die Macht der Erwartung" (Video auf YouTube)