Eine neue Studie aus unserem Sonderforschungsbereich zeigt: Negative Erwartungen wirken stärker und halten länger an als positive. Dieses Ergebnis hat große Bedeutung für die Kommunikation zwischen Behandelnden und ihren Patientinnen und Patienten.

Nocebo Effekte Placebo Effekte SBB289

Es ist eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: Wenn wir krank sind und von einer Behandlung wirklich Linderung erwarten, hat die Therapie besonders gute Chancen zu wirken. Wenn wir jedoch eher befürchten, dass die Behandlung uns kaum hilft und statt dessen unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringt, tritt oft genau das ein.

Dieses Phänomen ist besonders bei Schmerzen häufig und gut untersucht: Positive Erwartungen können Schmerzen lindern und die Wirkung eines Schmerzmittels verstärken –  das ist der Placeboeffekt. Negative Erwartungen hingegen verstärken oft den Schmerz und können die Wirkung selbst hochpotenter Schmerzmittel zunichte machen –  das nennt man Noceboeffekt.

Im Experiment sind Noceboeffekte stärker als Placeboeffekte

Doch welcher dieser Effekte ist stärker? Leider wohl der Noceboeffekt, wie eine Studie aus Projekt A01 unseres SFB/TRR 289 zeigt. Ein Forschungsteam um Prof. Ulrike Bingel an der Universität Duisburg-Essen setzte in einem Experiment 104 gesunde Freiwillige kurzfristigen Hitzeschmerzen aus. Dabei beeinflussten die Forschenden die Erwartungen und Behandlungserfahrungen der Teilnehmenden an eine scheinbare Nervenstimulation ("Sham Stimulation") gezielt und untersuchten dann, wie stark sich diese auf nachfolgende Testphasen am selben Tag und nach einer Woche auswirkten. In diesen Testphasen erhielten alle Teilnehmenden gleich starke Schmerzreize – aber verbunden mit unterschiedlichen Erwartungen: positiven, negativen, oder neutralen. Die Schmerzreize wurden auf einer Skala von 0-100 bewertet.

Das spannende Ergebnis: Negative Erwartungen hatten einen stärkeren und auch einen anhaltenderen Einfluss auf das Schmerzempfinden als positive. Wer von den Testpersonen negative Erwartungen hatte, bewertete die nachfolgenden Schmerzen im Durchschnitt um rund 11 Punkte höher als die Personen ohne spezielle Erwartungen. Eine positive Erwartung hingegen reduzierte die Schmerzbewertung nur um gut 4 Punkte. (Hier ist der Link zur Originalpublikation.)

Der Effekt negativer Erwartungen ist größer – auch auf Dauer

Der Effekt der negativen Erwartung war also doppelt so groß wie der von positiver Erwartung – an das, obwohl der herbeigeführte Schmerz bei allen Teilnehmenden gleich war. Lediglich die Erwartungen unterschieden sich. Doch wie lange hält dieser Effekt an?

Um das zu testen, erhielten alle Teilnehmenden in der zweiten Sitzung eine Woche später wieder den gleichen Schmerzreiz. Der Effekt blieb ähnlich: Der Noceboeffekt führte dazu, dass die Personen mit negativen Erwartungen den Schmerz um rund 9 Punkte höher bewerteten als jene in der Kontrollgruppe ohne erwartungen. Der Placeboeffekt wiederum führte dazu, dass der Schmerz um 4,6 Punkte geringer empfunden wurde.

"Better safe than sorry": Warum rechnen Menschen lieber mit dem Schlimmsten?

„Menschen neigen offenbar dazu, eher mit dem Schlimmsten zu rechnen – und das schlägt sich auch in der Schmerzverarbeitung nieder“, erläutert Prof. Dr. Ulrike Bingel, Neurologin und Leiterin des interdisziplinären Zentrums für Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Essen. Der Grund dafür könnte in der Evolution des Menschen liegen, vermutet Dr. Katharina Schmidt aus Bingels Team, die ebenfalls an der Studie beteiligt war: „Dieses Verhalten entspricht einer 'Better safe than sorry'-Strategie.“ Möglicherweise hätten sich die Menschen so entwickelt, dass sie besser auf potenzielle Bedrohungen eingestellt sind – und geben negativen Erwartungen daher mehr Gewicht.

„Für die klinische Praxis ist das von großer Bedeutung", erklärt Neurologin Bingel. Im Alltag konzentrierten Behandelnde sich oft darauf, positive Erwartungen zu fördern. „Unsere Studie zeigt jedoch, dass es mindestens genauso wichtig ist, unbeabsichtigte negative Erwartungen zu vermeiden“, so Bingel. Angehörige von Gesundheitsberufen sollten sich bewusst sein, dass die Art und Weise, wie sie über Behandlungen informieren, die Reaktion ihrer Patienten und Patientinnen darauf stark beeinflussen kann – im positiven wie im negativen Sinne.

„Noceboeffekte können durch einfache und wirksame Strategien zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten verhindert werden“, fügt Bingel hinzu: „Positive Formulierungen, die Vermeidung einer unnötigen Betonung von Nebenwirkungen und der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung können das Risiko von Nocebo-Reaktionen verringern. In einer Zeit, in der Kosteneffizienz im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung ist, sollte die Vermeidung von Noceboeffekten eine Schlüsselstrategie zur Verbesserung von Behandlungsergebnissen sein.“

Foto: SFB/TRR 289