Vom 15. Bis 18. Juni trafen sich mehr als 200 Forschende an der Universität in Krakau, Polen, um auf der 5. Internationalen SIPS-Konferenz die neuesten Ergebnisse und zukünftige Forschungsfelder rund um Placebo-und Noceboeffekte zu diskutieren. Für den SFB 289 „Treatment Epectation“war die Veranstaltung ein großer Erfolg.
Die internationalen Experten und Expertinnen aus Europa, den USA und Australien, die sich auf der SIPS-Konferenz getroffen haben, entschlüsseln die Mechanismen hinter den Erwartungseffekten, die in der Medizin einen großen Einfluss auf den Erfolg von Behandlungen und das Auftreten von Nebenwirkungen haben können. Der diesjährige SIPS-Kongresspräsident Prof. Przemyslaw Babel, Psychologe und Schmerzforscher an der Jagiellonen Universität in Krakau, erklärt: „Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben unglaublich viele Flash-Talks gehalten, auf über 100 Postern ihre Forschung präsentiert, das ist für mich der größte Erfolg zu sehen, wie engagiert die nächste Generation ist.“
Prof. Przemyslaw Babel, Jagiellonen Universität in Krakau, und Prof. Ulrike Bingel, Universität Duisburg-Essen, auf der SIPS-Konferenz 2025 in Krakau
Für den SFB 289 war die SIPS-Konferenz 2025 ein großer Erfolg
Die Neurologin von der Universität Duisburg-Essen Prof. Ulrike Bingel, SIPS-Kongresspräsidentin 2023 und Sprecherin des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Treatment Expectation“, betont: „Unser SFB war superpräsent auf der SIPS, wir haben erneut die von uns initiierte ECR Summer School organisiert und ebenso den Science Slam. Das sind alles Bereicherungen für eine internationale Konferenz wie die SIPS.“ Mehrere Plenary Sessions und Symposien wurden von SFB-Forschenden gehalten. Ebenso engagiert waren die Early Career Researchers: Gleich vier von sechs Poster-Preisen gingen an SFB-Mitglieder, dazu kamen noch zwei Preise für die besten Science Slams. „Das alles unterstreicht, welche Spitzenstellung unser SFB in diesem Feld international einnimmt und welchen starken Nachwuchs wir haben“, freut sich Ulrike Bingel über den Erfolg.
Dr. Livia Asan, ebenfalls Neurologin, berichtete zum Beispiel über ihre Studie, in der untersucht wurde, ob eine gezielt verbesserte ärztliche Kommunikation Kopfschmerzen nach einer Lumbalpunktion verringern kann. Nocebo-Kopfschmerzen entstehen durch negative Erwartungen, die während der Risikoaufklärung entstehen. In der Studie wurde daher getestet, ob eine empathische Gesprächsführung, die unter anderem den Nutzen der Untersuchung betont, Noceboeffekte erklärt, vorbeugende Maßnahmen nennt und auf die vielen symptomfreien PatientInnen hinweist, diese negativen Erwartungen abschwächen kann. Die Ergebnisse zeigten, dass sich durch diese optimierte Kommunikation Ängste reduzieren und die Erwartung von Nebenwirkungen deutlich verringern ließen. Zudem fühlten sich die Patienten insgesamt zufriedener mit dem Ablauf. Die Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen war in der Tendenz verringert – ein Trend, den es gilt, in größeren Studien zu bestätigen.
Highlight: Erstmals Patientinnen und Patienten auf der SIPS
Erstmals stellten zudem Vertreter von Patientenorganisationen ihre Beteiligung an der Forschung über Placebo- und Noceboeffekte auf der SIPS-Konferenz vor. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“ wurde 2024 ein Patient Advisory Board (PAB) etabliert. Die 16 Mitglieder beraten und begleiten die Forschungsvorhaben des SFBs aus Patientensicht. Dorothea Fell von der Deutschen Rheumaliga, Sonja Arens von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe und Oliver Vorthmann von der Deutschen Depressionsliga erklärten auf der Postersession der 5. SIPS-Konferenz in Krakau ihr Anliegen und ihre Aufgaben im PAB. „Das war ein Highlight auf der SIPS, denn unser Patientenbeirat war erstmals auf einer internationalen Tagung präsent“, betont Prof. Ulrike Bingel. Das war ein sehr starkes Zeichen für die echte Beteiligung von Patienten und Patientinnen und auch international beispielgebend, wie viele internationale Gästen der SIPS den Mitgliedern bestätigten. (Ein ausführlicher Bericht dazu ist hier.)
Stärkerer Fokus auf Noceboeffekte
Einer von drei Themen-Schwerpunkten der Konferenz waren Noceboeffekte. „Es gibt eine Fülle an Forschung über Placeboeffekte, aber wenig über Noceboeffekte und vor allem wie man diese negativen Erwartungseffekte wieder rückgängig machen kann“, betonte Prof. Andrea Evers, die die Abteilung Gesundheits-Psychologie an der Universität Leiden leitet. Der Noceboeffekt ist im medizinischen Alltag allerdings sehr bedeutsam – und „er verschwindet nicht einfach so“, sagte Evers. Jede Erfahrung in einem Krankenhaus ist per se schon ein Noceboeffekt, man hat Angst, weiß nicht genau, was passiert, und ist krank.
Die Forschung, so Evers weiter, sei nicht schwieriger als beim Placeboeffekt, „weil wir schon viel über Ängste, Stress und Trauma wissen, davon können wir bei der Noceboforschung profitieren“. Allerdings sei jeder Patient anders, „deshalb sollte man auch jeden Patienten und jede Patientin zu Beginn einer Behandlung fragen, welche Geschichte sie persönlich mitbringen und was sie schon an medizinischen Traumata erlebt haben, um Noceboeffekte zu erkennen“. Diese Kommunikation sei für die klinische Praxis enorm wichtig, so Evers.
Prof. Luana Colloca von der University of Maryland in Baltimore und ebenfalls Gast auf der SIPS, wollte vor allem wissen: Wer sind die Patienten, die immer negativ agieren und schwer zu therapieren sind? „Bei jeder Placebostudie haben wir auch Noceboresponders“, erklärt die Neurowissenschaftlerin, „sie bekommen alle möglichen Schmerzmedikamente und dennoch helfen diese nicht. Warum?“
Wie Erwartungseffekte sich über soziale Medien verbreiten
In einem weiteren Schwerpunkt befassten sich die Teilnehmenden mit dem Zusammenhang von sozialen Medien und Placebo- bzw. Nocebo-Effekten. „Sozialinduzierte Placebo-, vor allem aber Noceboeffekte, sind sehr stark, beständig und verbreiten sich über soziale Beziehungsketten“, erklärte Ben Colagiuri, Psychologe an der Universität von Sydney: „Die Forschung darüber explodiert geradezu." Colagiuri konzentriert sich mit seinem Forschungsteam seit der Covid-19-Pandemie und den Impfkampagnen auf über soziale Medien verbreitete Noceboeffekte. „Wie können wir verhindern, dass negative Nachrichten so starke Noceboeffekte erzeugen?“, ist dabei seine Frage. Er möchte Forschende und das medizinische Personal unterstützen, auch die positiven Seiten zu betonen, im Gespräch mit Patientinnen und Patienten, aber auch in den sozialen Medien. „Wir müssen dem negativen Algorithmus der Medien im Internet etwas entgegensetzen!“, forderte Colagiuri.
Diät und Erwartungseffekte – ein spannendes Forschungsfeld
Prof. Karin Meissner von der Universität Coburg auf der SIPS-Konferenz 2025
Viele Poster und Kurzvorträge beschäftigten sich auf der SIPS in Krakau zudem mit Erwartungseffekten im Zusammenhang mit Themen wie Sport, Fitness, Ernährung, Diät, Abnehmen, Appetit und Körperwahrnehmung. „Das sind viele neue, extrem spannende Forschungsfelder“, zieht Prof. Karin Meissner von der Universität Coburg, Institut für angewandte Gesundheitswissenschaften, ihr Resümee. Appetit ist kein rein biologischer Reflex, sondern entsteht in einem komplexen Zusammenspiel von biologischen Prozessen, Emotionen und Gedanken. „Unsere Studie zeigte erstmals, dass auch gezielt eingesetzte Placebo-Suggestionen – also einfache, glaubwürdig vermittelte Aussagen – nicht nur subjektive Hungergefühle beeinflussen, sondern bei Frauen auch objektiv messbare Veränderungen hervorrufen, etwa bei hormonellen Prozessen oder der unbewussten Aufmerksamkeitslenkung auf Nahrungsreize“, so Meissner. Die gezielte Arbeit mit Erwartungen stellt somit für Prof. Meissner einen vielversprechenden Ansatz für ein nachhaltiges Gewichtsmanagement dar. Schon einfache Botschaften wie: „Diese ballaststoffreiche Mahlzeit hält lange satt“, könnten helfen, ein gesünderes Essverhalten zu fördern.