Prof. Ulrike Bingel beim KORTIZES Institut

„Schmerzmittel haben ihre eigene Wirksamkeit, und dazu kommt der Placebo-Effekt“

"Hier und heute" auf WDR

Ibuprofen, Paracetamol und Co.: Fast 200 Millionen Packungen nicht verschreibungspflichtiger Schmerzmittel werden pro Jahr in Deutschland verkauft. Doch wie wirken diese Mittel überhaupt? Und wie häufig darf und sollte man sie verwenden? Darüber klärt Prof. Ulrike Bingel in der WDR-Sendung „Hier und heute“ auf.

Im Gespräch mit Moderator Sven Kroll erklärt die Leiterin des Zentrums für Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Essen, worin sich die einzelnen Wirkstoffe unterscheiden und welche Effekte die Medikamente neben der Schmerzunterdrückung noch haben. Dabei weist Prof. Bingel auch darauf hin, dass die Wirkung eines Schmerzmittels nicht nur von seinem Wirkstoff abhängt: „Wir sehen bei all diesen Mitteln, dass sie eine eigene Wirksamkeit haben. Aber dazu kommt der Placebo-Effekt“ – und dieser kann erstaunliche Folgen haben, wie die Neurologin auch aus eigener Erfahrung weiß: „Wenn ich selbst Ibuprofen nehme, weil ich – zum Glück sehr selten – Kopfschmerzen habe, dann wirkt das schon nach 10 bis 15 Minuten“ Das sei pharmakologisch nicht zu erklären, die Tablette ist zu diesem Zeitpunkt im Magen noch gar nicht aufgelöst. „Aber durch die positive Erwartung und meine positive Vorerfahrung merke ich so früh schon einen schmerzlindernden Effekt“, berichtet Ulrike Bingel, die auch Sprecherin unseres Sonderforschungsbereichs Treatment Expectation ist.

Drei Probleme, wenn Schmerzmittel zu häufig eingenommen werden

Problematisch wird es für die Neurologin allerdings dann, wenn Schmerzmittel regelmäßig ohne ärztlichen Rat eingenommen werden. Das liege an drei Problemen: „Erstens helfen die Mittel bei vielen Schmerzsyndromen gar nicht.“ In Deutschland gebe es 20 Millionen Menschen, die unter wiederkehrenden oder regelmäßigen Schmerzen leiden – solche chronische Schmerzen benötigen laut Bingel eine ganz andere Therapie. Das gleiche gilt für neuropathische Schmerzen, die im Nervensystem selbst entstehen. Nach einer Gürtelrose etwa treten solche Nervenschmerzen häufig auf.

„Ein zweites Problem ist, dass Schmerzmittel oft unerwünschte Nebenwirkungen haben“, so Bingel weiter. Zum Beispiel können manche Wirkstoffe bei häufigem Gebrauch den Magen, den Darm oder die Nieren schädigen. Die Einnahme von Ibuprofen und ähnlichen Medikamenten erhöht sogar das Risiko für einen Herzinfarkt.

Das dritte Problem ist vielen Menschen unbekannt: „Manche Schmerzen können sich sogar verschlimmern durch eine tägliche Schmerzmitteleinnahme“, weiß Prof. Bingel. Das sei zum Beispiel bei Kopfschmerzen so: „Wenn Sie jeden Tag Schmerzmittel nehmen um eine Migräne zu bekämpfen, bekommen Sie dadurch noch mehr Kopfschmerzen.“

Die ganze Sendung findet sich in der ARD-Mediathek hinter diesem Link. Die beiden Gespräche mit Prof. Ulrike Bingel starten ab Minute 2:33 und ab 1:10:37.